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Berlin: "Bücherservice": Goethe ohne Knete

Ist es ein Roman, ein Krimi, Sciene Fiction? Hildegund Wolff hält ein Buch in der Hand, will es ins Regal einsortieren.

Ist es ein Roman, ein Krimi, Sciene Fiction? Hildegund Wolff hält ein Buch in der Hand, will es ins Regal einsortieren. Lyrik muss nach links hinten, Schulbücher nach unten rechts. Sie begutachtet den Titel, muss noch auf den Klappentext schauen. Das Vorwort vielleicht auch noch. Sie fängt an zu lesen. Die Einleitung, das erste Kapitel. Und liest, liest, liest. "Bücher sind eine schöne Droge", sagt sie, "seitdem wir hier arbeiten, lesen wir viel mehr als früher."

Siebzehn Mitarbeiterinnen des "Bücherservice" sortieren Wälzer und Lyrikbändchen, um sie an Leute zu verschenken, die für den Einkauf im Buchladen nicht genug Geld haben. Die Frauen sammeln gespendete Bücher ein, verteilen sie in den Sozialämtern und an Besucher, die in den Räumen in Wedding vorbeischauen. Kommen kann sowohl, wer Bücher sucht, als auch, wer welche loswerden möchte. Jeden Mittwoch fahren die Frauen sogar mit einem Lkw durch die Stadt und holen bei Privatleuten telefonisch versprochene Bücherkisten ab - zum Beispiel bei Wohnungsauflösungen oder vor Umzügen. Für Verschenker und Beschenkte ist der "Bücherservice" kostenlos: Das Arbeitsamt bezahlt das Projekt.

Ein junger Mann kommt herein. Er möchte einem Freund Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" schenken. Gleich zwei Mitarbeiterinnen beginnen mit ihm zu suchen: "Irgendwo hier war er doch." Nach zehn Minuten haben sie das Buch gefunden. "Wir haben Klassiker hier, aber auch viel von Konsalik oder Hedwig Courths-Mahler", sagt Wolff, "es ist kaum zu glauben, viele Leute wollen auch das lesen." Bücher könne sich jeder abholen, "wir fragen niemanden nach seinem Einkommen". Wenn jemand zu schick gekleidet sei, sagt Wolff, dann sei sie schon einmal skeptisch. Doch auch ein Bürgermeister - sie will nicht sagen, welcher - komme jede Woche am Stand in einem Sozialamt vorbei, nähme sich auch gerne mal ein Buch mit. Das sei in Ordnung. Schlimm sei es hingegen, wenn Flohmarkt-Händler sich die besten Bücher aussuchten und damit Geschäfte machten. So bekommt nun jeder Band einen Stempel auf die erste Seite: "Dieses Buch wurde vom Bücherservice kostenlos an Bedürftige abgegeben."

Boulevard Berlin: Was die Stadt bewegt...

cdz

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