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Bücherverbrennung: Eingebrannt ins Gedächtnis

Erwin Goldberg sah vor 75 Jahren bei der Bücherverbrennung der Nazis zu. Der 95-Jährige ist einer der letzten lebenden Augenzeugen.

Das Gebrüll hat er nie vergessen können. Erwin Goldberg schließt die Augen, sein freundliches Lächeln verschwindet. „Wir übergeben den Flammen die Bücher von Erich Kästner und Bertold Brecht...“, zitiert er mit heiserer Stimme und stützt sich fest auf seinen Gehstock.

Goldberg, inzwischen 95 Jahre alt, steht auf dem Bebelplatz neben der Staatsoper, wo Nazis und Studenten heute vor 75 Jahren Tausende von Büchern verbrannten. Er war dabei – unfreiwillig. Damals war er 19, arbeitete als Chorsänger in der Staatsoper. Am Abend des 10. Mai 1933 soll er dort auftreten; in Wagners „Meistersingern“. Doch Goldberg kommt an diesem regnerischen Abend nicht auf die Bühne. Schon von Weitem sieht er die Menschenmenge, die Hakenkreuzfahnen und hört Nazi-Marschlieder. „Die verbrennen die Bücher der Kommunisten und Juden“, erfährt er von Passanten. „Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt zur Arbeit soll – als Jude hatte ich große Angst,“ erinnert er sich. Doch schließlich siegt sein „preußisches“ Pflichtgefühl. „Die haben doch auf mich gezählt!“

Goldberg versucht sich durch die aufgeheizte Menschenmenge durchzuarbeiten, SA-Männer verstellen ihm den Weg: Sie richten einen Scheiterhaufen auf – Goldberg steht direkt daneben. Er kommt weder vor, noch zurück, sieht die Stapel von Büchern. Geschäftige Braunhemden rempeln ihn an: „Du stehst im Weg Volksgenosse.“

Goldberg hat Angst, als Jude identifiziert zu werden, doch niemand erkennt ihn. „Wie denn auch?! Niemand konnte uns doch von anderen Deutschen unterscheiden“, sagt er heute. Dennoch sei er damals von einer „irrsinnigen Angst“ erfüllt gewesen. „Ich dachte, die werfen mich mit ins Feuer. Es war abscheulich. Ich war umringt von wilden Tieren, die als Menschen verkleidet waren.“

Doch das Fanal, das die Nazis an diesem Abend setzen wollen, lässt sich nicht so leicht entzünden. „Wegen des Regens musste die Feuerwehr mit Benzin nachhelfen“, erinnert sich Goldberg. Als die ersten Bücher unter Gejohle in die Flammen fliegen, atmet er den beißenden Qualm ein, sieht die zum „Hitlergruß“ gestreckten Arme aus der Menge ragen. Ihm gelingt es nicht, dem dichten Gedränge auf dem Bebelplatz zu entkommen. Erst nach Ende des grausigen Spektakels eilt er „wie im Fieber“ nach Hause. Erwin Goldberg wohnt damals in der Choriner Strasse. Auf dem Weg dorthin kommt er durch die Spandauer Vorstadt, wo viele Juden leben. „Dort wussten das schon alle. Wir haben uns gefragt ob das der Anfang vom Ende ist“, sagt Goldberg und blickt nachdenklich auf den Boden, wo man unter einer Plexiglasscheibe einen Raum mit leeren Büchergestellen sieht – ein Denkmal des israelischen Künstlers Micha Ullmann, das auf dem Bebelplatz seit 1995 an das Ereignis erinnert.

Für Goldberg markiert die Bücherverbrennung den Anfang einer Kette von Demütigungen. Besonders schmerzt ihn, dass er 1934 nicht mehr in der Staatsoper arbeiten darf. „Es war ein Gefühl des Verstoßenseins aus der deutschen Kultur. Ich wusste, dass ich aus Deutschland heraus muss.“

Bis 1938 hält er noch durch, dann flüchtet er vor einer drohenden Verhaftung nach Argentinien, wo er sich ein neues Leben aufbaut. Er wird Lehrer an einer Schule deutscher Kolonisten, er heiratet – und träumt weiter von Berlin. „Ich hatte ein solches Heimweh, das glauben Sie gar nicht!“

Als er 1945 erfährt, dass sein Bruder in Auschwitz ermordet wurde, schwört sich Goldberg, nie wieder einen Fuß nach Deutschland zu setzen. Bis ihn im Sommer 1972 ein Brief aus Berlin erreicht. Absender ist der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, der einstige jüdische Bewohner zum Besuch in ihrer früheren Heimatstadt einlädt. Erwin Goldberg ist jetzt 60 Jahre alt. Er habe lange überlegt, mit Freunden diskutiert. Schließlich habe er die Einladung als „Geste der Versöhnung begriffen“, sagt er.

Als er in Tegel aus dem Flugzeug gestiegen sei, habe er sich sofort wieder zu Hause gefühlt. „Hier wurde ich geboren, hier habe ich gelitten. Das bleibt meine Stadt“, sagt Erwin Goldberg. Er sucht die Stätten seiner Kindheit, flaniert über den Kurfürstendamm. Und er fährt auch einen Tag nach Ost-Berlin. Am meisten erschüttert habe ihn damals der Anblick der Ruine der Synagoge in der Oranienburger Straße, wo er einst Albert Einstein Geige spielen gesehen hatte.

Während seines Besuchs erhält Goldberg das Angebot als Musiklehrer an einer Weddinger Grundschule zu unterrichten. Er nimmt das Angebot an, lässt sich nach 35 Jahren Exil wieder in Berlin nieder. Erst 1996 kehrte Erwin Goldberg nach Buenos Aires zurück. Seine Frau sei in Berlin nie heimisch geworden. „Sie vermisste das offene Herz der Menschen.“ Erwin Goldberg kann sie bis heute gut verstehen. „Wenn ich in Argentinien Freunde sehen möchte, dann gehe ich einfach vorbei. Hier muss ich immer erst anrufen, dann blättern sie im Terminkalender.“

Damals dachte Erwin Goldberg, es sei ein Abschied für immer. Doch es zieht ihn jedes Jahr an die Spree zurück: „Ich bin wie ausgehungert“, erklärt er mit leuchtenden Augen. „Nach Theater, Musik und Kultur!“ Dieses Mal hat er auch seine Autobiographie mitgebracht. „Wirbelstürme des Schicksals“ heißt das Buch, das bei einem kleinen Hamburger Verlag erschienen ist. „Ich will mit meiner Lebensgeschichte zeigen, dass man immer Hoffung haben muss, die Zuversicht nicht verlieren darf“, sagt er. „Ich lebe noch – und Hitler nicht. Das zählt.“

André Glasmacher

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