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Berlin: Büro statt Wohnung: Gericht erlaubt Zweckentfremdung Senat fürchtet Verdrängung von Mietern aus der Innenstadt

Von Fatina Keilani und Lars von Törne Wohnungen können in Berlin ab sofort erlaubnisfrei als Büros, Arztpraxen oder für andere gewerbliche Zwecke genutzt werden. Das folgt aus fünf Urteilen des Oberverwaltungsgerichts vom Donnerstagabend.

Von Fatina Keilani

und Lars von Törne

Wohnungen können in Berlin ab sofort erlaubnisfrei als Büros, Arztpraxen oder für andere gewerbliche Zwecke genutzt werden. Das folgt aus fünf Urteilen des Oberverwaltungsgerichts vom Donnerstagabend. Bisher war eine gewerbliche Nutzung durch das Zweckentfremdungsverbot nur mit einer speziellen Erlaubnis möglich und kostete Ausgleichsabgaben. Das Gericht stellte nun fest, dass der Berliner Wohnungsmarkt „so deutlich und nachhaltig entspannt“ sei, dass das Verbot „offensichtlich entbehrlich geworden“ ist. Landesregierung und Mieterverein reagierten ablehnend auf die Entscheidung. Die Verbände der Wohnungswirtschaft sowie CDU und FDP begrüßten sie.

Die Richter hatten über mehrere Berufungsverfahren zu entscheiden, in denen unter anderem ein Arzt und ein Anwalt Wohnungen als Praxisräume nutzen wollten. Im einen Fall hatte das zuständige Amt die Erlaubnis verweigert, im anderen Fall betrieb der Kläger seine Praxis bereits, wollte aber die Ausgleichszahlungen nicht leisten – und bekam Recht. Sein Rechtsanwalt Michael Schultz rechnet damit, dass auf die Stadt jetzt erhebliche Rückzahlungen zukommen, weil das Zweckentfremdungsverbot vom Gericht rückwirkend zum 1. September 2000 für rechtsunwirksam erklärt wurde. Schultz hatte drei Verfahren als Musterprozesse stellvertretend für andere angestrengt. „Einer meiner Mandanten hat ein Hotel und muss jeden Monat 4000 Euro Ausgleich zahlen“, sagt Schultz. „Die wird er jetzt für alle Monate seit September 2000 zurückfordern.“

Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) bedauerte die Urteile gestern. Für die Verwaltung war die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung ein politisches Steuerungsinstrument, das nun wegfällt. „Die Entscheidung unterstellt, dass der Wohnungsmarkt in allen Stadtgebieten gleichermaßen entspannt ist“, sagte Strieder. „Das ist ein Irrtum.“ Strieders Sprecherin Petra Roland sieht die gesunde Durchmischung bestimmter Gegenden in Gefahr. „Gerade in den begehrten Lagen werden Vermieter jetzt wohl lieber die Kanzlei reinnehmen als den Wohnmieter.“ Äußerstenfalls könnten am Ende ganze Gegenden abends aussterben, weil dort dann nur noch gearbeitet wird und die Leute das Viertel nach Feierabend verlassen. Man wolle jetzt die Urteilsgründe abwarten, dann sollen die Hausjuristen überlegen, inwieweit Rechtsmittel eingelegt werden können oder ein neues Steuerungsinstrument geschaffen werden kann. Das Gericht hat die Revision allerdings nicht zugelassen.

Der baupolitische Sprecher der SPD, Bernd Schimmler, befürchtet, dass jetzt besonders attraktive Innenstadtlagen wie der Hackesche Markt oder die Spandauer Vorstadt „entwohnt“ zu werden drohen: „Wir müssen prüfen, ob es für bestimmte Teile der Stadt besondere Regelungen geben kann.“ Auch die grüne Wohnungspolitikerin Barbara Oesterheld bedauert die Entscheidung: „Der Verdrängungsdruck auf Mieter in Bezirken wie Mitte oder Prenzlauer Berg wird zunehmen.“ CDU und FPD begrüßten das Urteil. „Die Bezirke sollten aber per Satzung sicherstellen, dass in bestimmten Straßen das Zweckentfremdungsverbot weiterhin gilt“, sagt CDU-Baupolitiker Fritz Niedergesäß.

Der Berliner Mieterverein wies darauf hin, dass in der Stadt längst nicht so viele Wohnung leer stünden wie behauptet. Besonders in nachgefragten Gegenden gebe es praktisch keine Leerstände. Die Mieten von Altbauwohnungen seien konstant gestiegen, in manchen Gegenden gebe es eine regelrechte Mangellage. Die Wohnungswirtschaft bezeichnete die Gerichtsentscheidung dagegen als lange überfällig, weil das Zweckentfremdungsverbot in Berlin gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes verstoßen habe. Der Verband „Haus und Grund“ freute sich darüber, dass es für Mieter jetzt schwerer sei, zuviel gezahlte Miete zurückzuverlangen, da Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes in Berlin nun nicht mehr anwendbar sei.

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