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Berlin: „Bundesliga ist spannender“

Erstwähler, Alte und Prominente: Wie die Berliner das Kandidaten-Duell verfolgten

Die Tische sahen aus, als wollten sie gleich abheben. Partymacher Manfred Schmidt hatte zum Kanzler-Duell-Gucken in die Neue Nationalgalerie geladen: Zum Dinner hatte jeder der über 500 Gäste seinen eigenen kleinen Plasmabildschirm vor der Nase stehen, und so ragten über jedem der 55 kreisrunden Tische neun Antennen senkrecht in die Luft. Unter den Spruchbändern der Künstlerin Jenny Holzer an der Decke wurde ein Menü serviert, dessen Gänge „Prognose“, „Parteienbrei“ und „Koalitionsspiel“ hießen; das pfefferminzsoßenhaltige Dessert hieß lediglich „MMW“. Denn der „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“- Sänger Marius Müller-Westernhagen sollte nach dem Duell auftreten – als Zugabe. Dieser verlockenden Mischung konnte sich Berlins Promi-Gesellschaft offensichtlich nicht entziehen, es amüsierten sich: Ex-ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser, Blechtrommler David Bennent, CDU-Mann Rupert Scholz, Zeit-Chef Michael Naumann, Michael Blumenthal vom Jüdischen Museum, der Koch Hans-Peter Wodarz, Thomas Borer-Fielding (solo), Tita von Hardenberg, Leander Haussmann, John C. Kornblum, Sissy Perlinger, Günter Rexrodt.

Die Küche vereinte Bayern und Preußen, also Leberkäs’ und Currywurst, und kam vom „Theodor Tucher“ am Pariser Platz. Auch alle Farben des politischen Spektrums kamen in Proportion zur politischen Bedeutung vor. Aber größere Bedeutung des Duells erwartete kaum einer der Anwesenden. „Ich erwarte höchstens Schwankungen von einem Prozent“, sagte Klaus Bresser. „Solche Veranstaltungen sollen meist nur die Meinung bestätigen, die man ohnehin schon hat. Rupert Scholz meinte, dass das Duell in Deutschland nicht die Bedeutung wie in Amerika habe. Michael Naumann lobte das Duell als „Veranstaltung zur Aufklärung der Wähler“. Alle schauen konzentriert, nur einmal wird geschmunzelt, als Stoiber sich mit Mark und Euro verheddert. fk

Im Jugendkulturzentrum „Atrium“ im Märkischen Viertel brutzeln die Bratwürste auf dem Grill. Etwa hundert Jugendliche haben sich hier eingefunden – vor allem Erstwähler. Nach dem Start des Duells ist es still im Saal. Die Jugendlichen verfolgen aufmerksam und engagiert die Debatte. Herausforderer Stoiber wird manchmal ausgelacht, ja, ausgebuht. „Doofes Rumgelaber“, tönt es von hinten. Und: „Der antwortet ja gar nicht auf die Frage“. Als der Bundeskanzler sagt, er habe den Reformstau gelöst, geht dagegen ein stummes Nicken durch den Saal. „Schröder verdient eine zweite Chance“, sagt der 18-jährige Martin Fanselow. „Euro, Afghanistan, Überschwemmung – das hat er alles gut gemacht“. Der 19-jährige Christian Rößler ist ganz anderer Meinung: „Ich erhoffe mir von den anderen Parteien mehr Wirtschaftswachstum“. Dass Stoiber Schröder direkt wegen der Arbeitslosigkeit angreift, findet Christian gut. Sein Freund Johannes Brombach (20) will dagegen Rot-Grün behalten. Stoiber war besser, als ich erwartet habe, aber seine Position teile ich trotzdem nicht, sagt Marco Pirolo. Auch Thorsten Koch (25) sagt, Stoiber ist nicht schlecht, er spreche junge Leute aber nicht so an wie Schröder. mei

Am U-Bahnhof Turmstraße verteilt ein Wahlhelfer Flugblätter, „Haben sie Interesse an einer Veranstaltung mit Schröder und Fischer?“ , fragt er einen Türken. Der winkt ab: Ich habe keine Rechte, Entschuldigung“. Diejenigen, die das Recht haben, die Wahl am 22. September zu entscheiden, haben sich eine Ecke weiter, im Sportcafe „Blue Fantasy“ an der Lübecker Straße zum Duell eingefunden. Vor der Großbildleinwand sitzt ein buntgemischtes Publikum, rund 40 Leute, von jung bis mittelalt, von Jackett bis Jeans. Normalerweise gibt es hier Boxen oder Fußball zu sehen . Die Erwartungen an Schröder und Stoiber sind gedämpft. „ Bundesliga ist spannender“, sagt Wolfgang Straek. „Meine Wahlentscheidung wird dadurch nicht beeinflusst“, sagt der 59-Jährige. Auch Friedrich, 46, hat sich beim ersten Durchgang gelangweilt. Er ist wegen des Gemeinschaftsgefühl in die Kneipe gekommen. Er gehört zu den unentschiedenen Wählern. Zuschauer Jan aus Moabit macht keinen Hehl daraus, für wen sein Herz schlägt. Er trägt das „Stoppt Stoiber“ auf dem Rücken. Nachdem Stoiber zu Beginn der Sendung die hohe Arbeitslosigkeit gegen Schröder ins Feld führt, fordert Wolfgang Straek, jetzt müsse er mal sagen, was er anders machen will. Schröders Antwort: „Es gibt ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit leider steigt: Das ist Bayern“ erntet schallendes Gelächter und Szenenapplaus im Publikum. Nach der ersten halben Stunde ist Jan überzeugt, Schröder macht das Rennen. Friedrich, der Unentschlossene, ist immer noch nicht klüger. Seine Entscheidung falle am 22. September: „In der Wahlkabine.“wie

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