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Berlin: Bundestag lässt Nachzug aller Bonner Ministerien prüfen

10 000 Mitarbeiter sind noch in Bonn beschäftigt. Wenn alle nach Berlin kämen, könnte die Stadt jährlich 800 Millionen Euro mehr erwirtschaften, so Experten

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wenn die sechs Bundesministerien, die noch in Bonn sitzen, nach Berlin umziehen, würde die Hauptstadt nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und finanziell gestärkt. „Das Bruttoinlandsprodukt könnte sich um 800 Millionen Euro erhöhen, wenn alle Beschäftigten nach Berlin kämen“, sagte Dieter Vesper, Finanzexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Tagesspiegel. Und der Finanzsenator könnte mit 100 Millionen Euro zusätzlichen Steuereinnahmen jährlich rechnen.

Impulse für die Bauwirtschaft – neue oder sanierte Wohnungen und Dienstgebäude – hat Vesper in seiner Schätzung noch nicht berücksichtigt. Dass noch viele Lobby-Verbände die Region Bonn verlassen und nach Berlin kommen, glaubt er jedoch nicht. „Die Welle ist gelaufen.“ Aber der Umzug aller Ministerien vom Rhein an die Spree, mit etwa 10 000 Bediensteten, ist in den Bereich des Möglichen gerückt. Die Berliner SPD-Politikerin Petra Merkel, die im Haushaltsausschuss des Bundestags sitzt, sieht sogar „eine Chance noch vor der Wahl 2009“. Friedbert Pflüger, CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, ist nicht ganz so optimistisch. Denn Union und SPD im Bund hätten sich im Koalitionsvertrag auf die 1994 vereinbarte Arbeitsteilung zwischen der Hauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn politisch festgelegt.

Trotzdem stellt auch Pflüger, ehemals Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, „eine wachsende Bereitschaft zum Umzug“ fest. Vor allem junge, karrierebewusste Ministerialbeamte fühlten sich abgehängt. „Bonn ist längst zweite Klasse“, sagte Pflüger. Außerdem sei die Pendelei zwischen beiden Städten „irrsinnig anstrengend“ und die zweigeteilten Bundesministerien seien schwer zu führen. Gesine Lötzsch, Berliner Bundestagsabgeordnete der Linkspartei/PDS, die auch im Haushaltsausschuss sitzt, sieht das ähnlich. Von den jährlich etwa 11 Millionen Euro Flugkosten abgesehen, gehe wertvolle Arbeitszeit verloren. Während der gerade abgeschlossenen Ausschussberatungen für den Bundesetat „kamen Heerscharen von Beamten aus Bonn, um vielleicht zehn Minuten lang Auskunft zu geben“.

Schon im September hatte der Haushaltsausschuss die Bundesministerien und den Bundesrechnungshof beauftragt, zu überprüfen, was der doppelte Regierungssitz kostet und welche „Effizienzpotenziale“ es gibt. Zusätzlichen Schwung hat die Diskussion durch einen Antrag der Linkspartei im Bundestag bekommen, in dem der vollständige Umzug aller Ministerien „bis etwa 2012“ gefordert wird. Mit Ausnahme der Einrichtungen, die „mit der Region Köln/Bonn verbunden sind“, zum Beispiel das Haus der deutschen Geschichte. Auch Institutionen wie das Bundeszentralregister könnten am Rhein bleiben. Von Bundespolitikern, die Berlin gewogen sind, hört man, dass dieser Antrag „jedenfalls nicht schadet“. Er wird, voraussichtlich Anfang 2007, im Innen- und Haushaltsausschuss des Bundestages beraten.

In Nordrhein-Westfalen reagiert man alarmiert auf die neue Umzugsdebatte. „Die Landesregierung wird aufgefordert, auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die im Bonn-Berlin-Gesetz festgeschriebene dauerhafte und faire Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn unverändert bestehen bleibt“, steht in einem gemeinsamen Antrag, den CDU, SPD, Grüne und FDP im NRW-Landtag kürzlich beschlossen. Michael Breuer (CDU), Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, gab in der Parlamentsdebatte seine Sicht auf die Hauptstadt zum Besten. „Nicht nur geografisch, sondern auch wirtschaftlich oder geozentrisch ist Berlin nicht der Mittelpunkt Deutschlands. Wenn man ganz ehrlich ist, kann man hier und da auch den Eindruck haben, es liegt eher an der Peripherie.“ Die Bundesministerien sollten nicht alle in Berlin konzentriert werden, sondern „nahe an den Menschen“.

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