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Für viele Abgeordnete ist Berlin mit ein Arbeitsplatz. Ihren Lebensmittelpunkt verlegen nur die wenigsten an die Spree.

© imago/Jochen Tack

Bundestagsabgeordnete in Berlin: Ihre Hauptstadt liegt in Westfalen

Im Bundestag angekommen, in Berlin nicht: Die Abgeordneten Tim Ostermann (CDU) und Stefan Schwartze (SPD) kommen aus demselben Wahlkreis in NRW.

Morgens um 9 Uhr sitzt Tim Ostermann (CDU) in seinem Büro im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses im Regierungsviertel. Die Sonne scheint durchs Fenster, auf dem Schreibtisch stapeln sich Sitzungsunterlagen. Für das schöne Wetter hat der CDU-Abgeordnete kaum etwas übrig, in einer Stunde tagt der Innenausschuss des Parlaments. Waffengesetz, Aufenthaltsrecht, Abschiebungen, europäische Grenzsicherung und 30 weitere Punkte stehen auf der Tagesordnung. Es ist viel los auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode. „Wir ruhen uns nicht aus, nur weil bald gewählt wird“, sagt Ostermann. Das mit dem Ausruhen wäre sowieso nicht so einfach in Berlin. Sein Bett steht weit entfernt in Nordrhein-Westfalen.

Natürlich schläft Ostermann trotzdem in Berlin, für gewöhnlich in einem Hotel nahe dem Parlament. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat er keine Wohnung in Berlin: „So ist es einfacher und bequemer für mich.“ Zwar kenne er ein paar Restaurants, aber „ein Berlin-Experte bin ich nicht geworden“.

Die Heimat liegt woanders

Sein Lebensmittelpunkt ist im Kreis Herford, seinem Wahlkreis. Und für den will der 38-Jährige auch in den kommenden vier Jahren regelmäßig in die Hauptstadt pendeln. Einzig: „Die Wahl wird nicht einfach“, prophezeit Ostermann. Vor vier Jahren war es äußert knapp zwischen ihm, dem Herausforderer, und Stefan Schwartze, der damals schon Abgeordneter der SPD war und auf seine parlamentarische Erfahrung verweisen konnte. Amtsbonus nennt das Ostermann. Mit 0,47 Prozentpunkten oder 764 Stimmen musste er sich Schwartze geschlagen geben, zog nicht direkt, sondern über die Landesliste seiner Partei in den Bundestag ein. „Jetzt will ich gewinnen“, sagt Ostermann selbstbewusst.

Jetzt ist er selbst erfahren, hofft ebenfalls auf einen Amtsbonus und auf eine anhaltende positive Stimmung bei den Wählern, die der CDU gerade erst zum Erfolg in NRW verholfen hat. Sollte es nicht klappen auf direktem Weg, bleibt die Landesliste. An 36. Stelle stand er vor vier Jahren. Das hat gereicht für Berlin. Dieses Mal hat ihn die Partei auf Platz 17 gesetzt, das gibt Sicherheit.

Ein kühles Bier an die Spree

Noch steht die parlamentarische Arbeit in Berlin im Vordergrund, noch bis Ende Juni tagt der Bundestag, auch wenn die anstehenden Wahlen jetzt schon in der täglichen Arbeit ein Thema sind: „Von Woche zu Woche wird es schwieriger“, sagt Ostermann, der dann doch schon mal ein wenig in Wahlkampfmodus schaltet. „Die SPD wird nervöser, will sich profilieren. Das macht es nicht einfach.“

22 bis 24 Wochen im Jahr verbringt er in Berlin und auch, wenn er die meiste Zeit aus Mitte und dem Regierungsviertel nicht herauskommt, hat er seinen Lieblingsplatz gefunden: Einen Biergarten direkt an der Spree, das Kanzleramt nur einen Steinwurf entfernt und im Rücken den Reichstag, das Gebäude, in dem Tim Ostermann auch in den nächsten vier Jahren arbeiten will.

Zwei Herforder in der Hauptstadt

Der Reichstag als Arbeitsplatz ist ihre Gemeinsamkeit. In einem der tausenden Räume des Bundestags hat der Tag früh begonnen für Stefan Schwartze (SPD), dem direkt gewählten Abgeordneten aus dem Kreis Herford. Seit 8 Uhr saß der 43-Jährige mit seiner Fraktion zusammen, um unter anderem über die Verkehrspolitik zu diskutieren. Am Abend zuvor war er bis 22.30 Uhr auf einem Treffen der Feuerwehrverbände. Ein früherer Feierabend an den kommenden Tagen ist unwahrscheinlich: „Die Sitzungswochen sind immer vollgepackt mit Terminen“, sagt Schwartze, der die Routineabläufe im Leben eines Abgeordneten mittlerweile genau kennt. Es ist seine zweite Periode als SPD-Bundestagsmitglied, die dritte soll ab Herbst folgen, wieder direkt gewählt. Eine andere Chance hat er kaum.

„alles andere als ein Selbstläufer“

Denn über die Landesliste seiner Partei ist er nicht abgesichert. Eigentlich hätte er weit vorne stehen sollen, so hatte es die Partei beschlossen. Aber Kanzlerkandidat Martin Schulz wollte dort lieber einen Mann seines Vertrauens sehen. Schwartze zog zurück und findet sich nun auf Platz 35 der Landesliste wieder. Ob der ausreicht, ist fraglich. 2013 zog die SPD-Landesliste nur bis Platz 29. Schwartze weiß: „Ich muss gewinnen.“

Und er weiß: Die Bundestagswahl wird „alles andere als ein Selbstläufer“. Aber: „Ich bin ein optimistischer Mensch. Mich bringt so leicht nichts aus der Ruhe.“ Darum beginnen für ihn die Vorbereitungen fürs Projekt Wiederwahl nicht an einem bestimmten Stichtag: „Eigentlich darf man mit dem Wahlkampf nie aufhören.“

Lobbyist für den heimischen Wahlkreis

Wer sich nur kurz vor der nächsten Stimmabgabe bei seinen potenziellen Wählern blicken lasse, habe schon so gut wie verloren: „Man muss sich immer einsetzen, ansprechbar sein, Sorgen und Stimmungen der Menschen aufnehmen. Das gehört dazu.“ Dazu gehört auch, Lobbyist für den heimischen Wahlkreis zu sein, das Beste für die Heimat herauszuholen: „Das alles geht nicht von jetzt auf gleich. Man muss hartnäckig sein, immer wieder nachbohren“, sagt Schwartze, dann könne man etwas erreichen: Politik trifft Praxis.

Bis September dauert die Legislaturperiode offiziell, doch schon Ende der kommenden Woche enden die Debatten und Abstimmungen im Parlament. Bis dahin ist noch viel zu entscheiden. Viel Arbeit also. Zeit zum Ausspannen in der eigenen Wohnung bleibt da wenig. Die hat Schwartze sich gemietet in Berlin, um auch mal runterzukommen. Dafür braucht er die eigenen vier Wände, „ein Hotelzimmer ist nichts für mich“. Etwa 15 Minuten Fußweg vom Regierungsviertel entfernt liegt seine Wohnung.

Auch wenn Heimat für ihn der Kreis Herford bleibt, ist Berlin für Stefan Schwartze dennoch mehr als nur Arbeitsstätte – zumindest für mehrere Wochen im Jahr: „Ich mag die Atmosphäre in der Stadt. Berlin hat für mich etwas Grundehrliches. Das sagt man ja auch über uns Ostwestfalen, vielleicht fühle ich mich deshalb hier so wohl.“

Stefan Boscher

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