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Berlin: Bundeswehreinsatz im Reichstagsgebäude: 1100 Rekruten üben für den Bundestag

Welche Geräusche gibt Volkes Stimme - oder besser: der Bundestag von sich? Beispielsweise, wenn sich die Abgeordneten so richtig aufregen vorm Hohen Haus, ungehobelt laut ins Plenum schimpfen oder leise und mit sanfter Eindringlichkeit an die Menschen draußen im Lande erinnern?

Welche Geräusche gibt Volkes Stimme - oder besser: der Bundestag von sich? Beispielsweise, wenn sich die Abgeordneten so richtig aufregen vorm Hohen Haus, ungehobelt laut ins Plenum schimpfen oder leise und mit sanfter Eindringlichkeit an die Menschen draußen im Lande erinnern? Wenn sich die Parlamentarier geschlossen und fraktionsweise empören, mit Füßen lautstark Beifall trommeln, oder mit spitzen Lippen zum Pfeifkonzert ansetzen? Oder mit schrillen Zwischenrufen von den hintersten Bänken aus vorn den Redner irritieren, bis das Präsidium seinerseits tönend dazwischenfährt?

So kann Demokratie klingen.Hören und hören lassen ist alles im Bundestag, zumal die Geräusche und Reden von Abgeordneten, Ministern oder gar des Kanzlers vor allem doch für die Öffentlichkeit bestimmt sind.Ist nichts zu hören oder hat der Klangteppich arge Flicken, geht alles Lärmen und Loben als Luftnummer ins Leere.Wie war das traurig und peinlich, als sich vor gut sechs Jahren - der schmucke gläserne Neubau am Rhein war gerade erst eröffnet - ein akustisches Desaster ankündigte.Das Parlament verließ wütend unter Protest den schönen Plenarsaal, weil kein Redner zu verstehen war.Die Lautsprecher funktionierten offenbar nur, wenn es still war.Irmgard Schwaetzer, die damalige Bundesbauministerin, bekam ebenso Saures wie die zuständige Firma und der Bundestag ließ sich vorübergehend spöttisch und trotzig im nahen ehemaligen Wasserwerk nieder, das er bereits als Provisorium genutzt hatte.

Der Schock von damals sitzt den Leuten aus der Bundestagsverwaltung noch immer tief in den Knochen.Sie erinnern sich an mehrere, äußerst unbefriedigende Sprechproben, zu denen sie sich einfinden mußten - unter anderem am Aschermittwoch, was natürlich erst recht schiefgehen mußte.So etwas Peinliches, lautet die Devise, soll und darf sich in Berlin, im Plenarsaal des teuer umgebauten Reichstagsgebäudes, partout nicht wiederholen.Ein nahes Wasserwerk als rettende Zuflucht bietet sich ohnehin nicht mehr an.Es muß also mit der Akustik funktionieren, wenn die Welt auf Berlin schauen und vor allem hören will, was der Bundestag von hier aus so zu sagen hat.

Also muß sich das Reichstagsgebäude vor der offiziellen Eröffnung am 19.April einem großen Hörtest unterziehen.Weil das hohen personellen Einsatz erfordert, die Würde und Zeit der Abgeordneten mit derartigen Übungen nicht in Einklang zu bringen ist, hat die Bundestagsverwaltung die Bundeswehr um Hilfe gebeten.Der zunächst vorgeschlagene Termin an diesem Freitag paßte der Bundeswehr nicht.Nun soll am Donnerstag in acht Tagen etwa drei, vier Stunden geprobt werden.Von außen wird das nur an etlichen Bundeswehrbussen zu sehen sein, die rund 1100 Rekruten aus Berlin und Brandenburg zum Reichstag bringen.

Im Inneren werden die Wehrpflichtigen auf den Abgeordnetenstühlen, in den Zuschauerreihen und auf der Pressetribüne Platz nehmen und auf Anweisungen warten, die ihnen diesmal Tontechniker einer Beschallungsfirma geben."Grundgeräusche" stehen unter anderem auf dem Programm, Töne also, wie man sie von einem vollen Haus erwartet: Etwa ständiges Murmeln oder Murren, aber auch Rufen, mal von hinten, mal von vorn, dann wieder von allen Seiten.Wie steht es mit dem Schall, ist gar mit einem tückischen Echo zu rechnen? Läßt sich wirklich von allen Sitzreihen gut hören? Die Leute von Bau und Bund sehen dem Test mit Spannung entgegen.Die Bundeswehr ist jedenfalls gehalten, mit ihren Grundwehrdienstleistenden eine richtige Bundestagsatmosphäre zu schaffen.Die Akustik-Übung sei - abgesehen von den Soldaten - eine absolute Routineprobe, wie auch vor der Eröffnung neuer Konzerthäuser üblich, sagt die für den Reichstagsumbau zuständige Bundesbaugesellschaft Berlin.

In den nächsten Tagen werden die Soldaten ihren "Einsatzbefehl" erhalten.Und weil sie bei ihrem Besuch im Reichstagsgebäude nicht nur Geräusche von sich geben müssen, sondern auch noch kleine Vorträge über dessen Historie und den Umbau erhalten, möglicherweise bei einem Rundgang auch noch die Kuppel erklimmen, hat die Bundeswehr dem Ausflug einen anspruchsvollen Namen geben können.Die Hörprobe firmiert als Veranstaltung für Politische Bildung.

CHRISTIAN VAN LESSEN

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