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Berlin: Bunte Mätzchen statt Originalität

Neue Roßstr, 11-12, 10179 Berlin-Mitte, Telefon: 27 59 02 00, geöffnet: täglich von 11 bis 24 Uhr, Kreditkarten: alle gängigenBernd Matthies Die Gegend südlich des Roten Rathauses ist in mehrfacher Hinsicht ins Abseits geraten. Schon das Nikolaiviertel sieht in seiner pseudohistorischen Baukastentechnik inzwischen ziemlich alt aus und wird wohl in erster Linie von herumziehenden Touristengruppen durchmessen.

Neue Roßstr, 11-12, 10179 Berlin-Mitte, Telefon: 27 59 02 00, geöffnet: täglich von 11 bis 24 Uhr, Kreditkarten: alle gängigenBernd Matthies

Die Gegend südlich des Roten Rathauses ist in mehrfacher Hinsicht ins Abseits geraten. Schon das Nikolaiviertel sieht in seiner pseudohistorischen Baukastentechnik inzwischen ziemlich alt aus und wird wohl in erster Linie von herumziehenden Touristengruppen durchmessen. Geht man über den Mühlendamm . . . Nein, das tut man nicht, weil es praktisch unmöglich ist, diese schlecht getarnte Stadtautobahn lebendig zu überqueren. Also: Wer irgendwie drüben ankommt, steht in einem merkwürdig leblosen, von steinalten und nicht endenwollenden Baustellen gequälten Viertel - und erinnert sich womöglich, daß dort zu DDR-Zeiten eine Vielzahl von Kneipen und Restaurants bis hin zum Ermelerhaus allabendlich im Belagerungszustand steckte.

Aus und vorbei. Zwar hat der Museumshafen am Märkischen Ufer die Gegend wieder etwas belebt, und es gibt einige Möglichkeiten, draußen am Wasser zu sitzen, aber dennoch braucht es schon eine Portion Mut, ausgerechnet dort ein neues Restaurant zu eröffnen. Dieses neue Restaurant heißt sinnfällig "Fischerinsel-Restaurant", gehört eigentlich zum Hotel "Großer Kurfürst", mit dem es sich die Toiletten teilt, ist aber offenbar verpachtet. Hoteltypisch ist auch die Architektur, die auf den ersten Blick recht nobel wirkt, dann aber im Zusammenprall von Kronleuchtern und Brokatstühlen mit eher modernen Elementen im Auge ein gewisses elektrisches Kribbeln auslöst, wie ein Biß auf Alufolie an den Zähnen.

Ach: Streiten wir lieber über den Geschmack des Essens. Wir befinden uns hier wieder in der Preisklasse um 30 Mark pro Hauptgericht, in der es offenbar immer schwerer wird, aus dem Mainstream auszubrechen und irgendetwas Originelles auf den Teller zu bringen. Also rettet man sich in bunte Mätzchen: Gemüse mit viel Broccoli in einem kindischen Teigkörbchen, dazu das obligatorische Lamm mit Kräutern und Kartoffelgratin, nicht schlecht, nicht aufregend - muß das denn nun wirklich jeder Koch kochen? Stör gegrillt: Das machen sie ganz geschickt, ziemlich kroß und dennoch nicht ohne Saft, aber beim Spargelragout darunter fehlt dann auch wieder die Konsequenz; neben dem Spargel liegen in belangloser weißer Sauce die gleichen bunten Gemüse herum. Dazu gute Kartoffeln, alles serviert auf einem quietschpinklilarosa Glasteller, optisch insgesamt das Gegenstück zur Innendekoration. Die Küche für Dr. Lieschen Müllers 50. Geburtstag.

Daß zu diesem Küchenstil eine Vorspeise namens Carpaccio gehört, wird Kenner nicht mehr überraschen. Aus Lachs und Zander, ordentlich gemacht, dazu ein Salat in genau abgeschmeckter Orangen-Pfeffer-Vinaigrette, insgesamt recht gelungen. Bei den Maultaschen mit Gemüsefüllung und Tomatensauce grübelten wir dann wieder: Würde ein einzelner Koch mit der Hand die Dinger so ebenmäßig, mit so dickem Teig hinbekommen ? Sie schmeckten nicht schlecht. Auch die Schokoladenterrine zum Dessert beeindruckte uns vorwiegend durch die nahezu industrielle Gleichmäßigkeit des gemusterten Teigmantels sowie durch die dezente, recht gelungene Minzsauce; die Krokant-Frischkäse-Terrine mit Karamelsauce ließ dann am Ende sogar noch ein wenig die kulinarische Sonne aufgehen. Die Puderzucker-Erdbeer-Kiwi-Dekoration bei diesen Desserts gehörte wieder zum Thema Architektur: Lustloses Design ohne kulinarischen Sinn.

Mit Abstand das Erfreulichste an diesem Abend war zweifellos der Wein, ein herrlicher 97er Riesling, Winninger Röttgen, von Heymann-Löwenstein, der für 54 Mark kulant kalkuliert ist. Auf der Karte finden sich weitere Flaschen, die mich dazu bringen könnten, einen weiteren Besuch in Erwägung zu ziehen. Aber wenn am Ende ohne Völlerei für zwei 220 Mark auf der Karte stehen, dann fragt man sich unweigerlich, ob es das wert war. Meine Antwort darauf lautet: nein.

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