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 Burning-Man-Ableger gibt es mittlerweile überall. Die Berliner „Burner“ sind im März zum „Afrika Burn“ gefahren.

© Maddalena Arosio

Burning Man in Arizona: Berliner "Burner" bereiten sich auf die Wüste vor

Das Hippiefestival Burning Man hat auch in Berlin Anhänger. Die bereiten sich auf das am Sonntag startende Mega-Event vor und vernetzen sich.

Ein Donnerstagabend auf der Torstraße. Junge Spanier und Italiener lassen den Sommerabend bei Kebab ausklingen. An einer Hausecke stehen Vernissagebesucher in schwarzen Hemden, in der einen Hand das Glas, die andere Hand unterstreicht das Gespräch. Daneben ein Hauseingang, der in einen seelenlosen Neubauflur führt.

Im vierten Stock ist die Tür nur angelehnt. Durch den Eingang an einer Poledancestange vorbei, schon steht man mitten in einer Einzimmerwohnung, in einer Mischung aus Bastelabend und Geheimversammlung: Sechs Menschen zwischen dreißig und sechzig Jahren sitzen um einen Esszimmertisch, skypen mit Mitorganisatoren und schneiden Pappanhänger zu, Sektgläser stehen herum. Niemand hier will seinen Nachnamen verraten oder sein Foto in der Zeitung sehen. In einer Stadt voller Technoclubs und Fetischpartys möchten sie nicht als hedonistisches Feiervolk gelten.

Warum? Sie sind „Burner“, heißt: Die meisten von ihnen werden vom 27. August bis zum 4. September in der Wüste Arizonas das Burning Man Festival feiern, eines der weltweit bekanntesten Festivals, bei dem es seit mehr als 30 Jahren um Kunst, Party und alternative Lebensweisen und Selbsterfahrung geht. Mittlerweile gibt es internationale Ableger, in Afrika etwa oder in Europa. Die Berliner Burner organisieren – zuletzt im Februar – den „Burning Bär“, um den Geist des Festivals und die zehn Grundprinzipien des Burning Man zu verbreiten.

Ohne Vorbereitung burnt es nicht

Jeder hier hat ein Lieblingsprinzip: Katharina mag das Konzept, ohne Geld auszukommen und Tauschhandel zu betreiben. Ihr Beitrag als Bastelexpertin besteht oft darin, Kurse zu Hornschmuck anzubieten. Dörte hat gleich zwei Lieblingsleitlinien: Radikale Inklusion – jeder kann dabei sein – und radikale Eigenständigkeit. Damit habe sie ausreichend Erfahrung, sagt sie, schließlich ist sie alleinerziehende Mutter.

Alex, der IT-Fachmann zu ihrer Rechten, teilt die Vorliebe für radikale Selbstverantwortung: Wer zu dem zehn Tage dauernden Festival in der Wüste nicht genügend Wasser, Lebensmittel und andere Notwendigkeiten mitnimmt, ist selber schuld. Verlässt er sich darauf, dass andere für ihn sorgen oder dass er Dinge kaufen kann, ist er ein „sparkling pony“, also ein „Glitzerpony“ – ein unselbstständiger Nutznießer, der von anderen Burnern verachtet wird.

„Wenn es einem schlecht geht, kümmern sich die Leute aber schon um dich“, sagt Joe. Ein Festivalverbot droht denen, die sich nicht an Joes Lieblingsprinzip halten: „Hinterlasse keine Spuren“. Die meisten Burns finden an abgelegenen Orten in der Natur statt; Besucher reisen von weither per Flugzeug und Auto an, Lebensmittel und Wasser müssen abgepackt mitgenommen werden, Stromaggregate und Gaskartuschen versorgen die Kunstinstallationen, Bühnen und Kochzelte – Nachhaltigkeit geht anders.

Wer unvorbereitet anreist, ist ein „sparkling pony“.
Wer unvorbereitet anreist, ist ein „sparkling pony“.

© Maddalena Arosio

Diese Familie nutzt Decknamen

Trotzdem versuchen die Organisatoren, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, indem sie nach den Festivals bewerten, wie sauber ein Campingplatzabschnitt seinen Bereich hinterlassen hat. Joe und Maddalena, die Gastgeberin an diesem Abend in Mitte, waren im März beim „Afrika Burn“ in Südafrika; ihre Abschnitte sind auf der gerade veröffentlichten Karte hellgrün eingefärbt, sie dürfen wiederkommen. Wären ihre Abschnitte rot, dürften sie sich nicht wieder blicken lassen.

Maddalena kommt nicht mit nach Arizona, kocht jetzt aber Pasta für die anderen und hilft beim Zurechtschneiden der insgesamt 1800 Pappstreifen, die die 15 anderen Berliner Burner dieses Jahr mit in die USA nehmen wollen. Beim Burning Man ginge es um mehr als Verkleidung und Party, betonen hier alle: „Als ich bei meinem ersten Burn in Berlin war, habe ich gleich beschlossen, dass das meine neue Familie wird.“

Ein großes Kind sein, loslassen, außerhalb des Drucks der Gesellschaft einen Ausgleich finden – einige der Anwesenden würden die Ersatzfamilie auch als Sekte bezeichnen, so eng sei der Zusammenhalt, so spezifisch die Codes. „Der Unterschied zu einer Sekte ist aber, dass man diese Gruppe jederzeit schadlos verlassen kann“, sagt Joe und lacht. Er benutzt einen Decknamen, wie viele andere Burner hat er nebenher eine erfolgreiche Karriere. Sie arbeiten tagsüber an Universitäten, im IT-Bereich, als Fotografen, sind sozial engagierte Akademiker.

Ein Schrein für verlorene Erinnerungen

Denn dieses Jahr müssen mehr als nur Organisation und die täglich wechselnden Kostüme geplant werden: Die Berliner Burner sind mit ihrem „Schrein der verlorenen Erinnerungen“ eine von drei nicht-amerikanischen Gruppen, die direkt am Fuß der überdimensional großen Burning-Man-Skulptur mit einer Installation vertreten sind.

In der Wüste beginnt ein neues Leben.
In der Wüste beginnt ein neues Leben.

© Maddalena Arosio

Dafür haben sie von den Veranstaltern eine Kunstförderung und kostenlose Tickets bekommen. Auf dem Wohnzimmerboden blinkt das Modell eines Baums. So einen Baum wollen die Burner im Schrein aufstellen. Besucher bekommen dann einen Pappstreifen, darauf eine menschliche Silhouette. Inspiriert ist die Installation vom Anschlag am Breitscheidplatz. Burning-Man-Besucher können sich einen verlorenen Moment, verursacht etwa durch den Tod eines geliebten Menschen, vorstellen und dann eine Hälfte des Streifens an den Baum hängen. Am letzten Tag wird der Baum mit der Burning-Man-Skulptur verbrannt und mit ihm die verlorenen Momente. Joes Hoffnung: „Wenn du dich darauf einlässt, lässt du einen Teil von dir da.“

Weitere Infos: www.burningbaer.de

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