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Berlin: Bußgeldmillionen: Im Zweifel für die Staatskasse

Geld könnte öfter an Sozialvereine gehen Doch viele Richter scheuen die Bürokratie.

Von Fatina Keilani

Mehrere Millionen Euro entgehen freien Trägern und gemeinnützigen Einrichtungen jedes Jahr. Denn Richter und Staatsanwälte lassen Bußgelder, die bei einer Verfahrenseinstellung verhängt wurden, lieber an den Staat gehen – weil das für sie einfacher ist. 2010 etwa landeten auf diesem Weg von gut 5,7 Millionen Euro etwa vier Millionen in der Staatskasse.

Wenn ein Strafverfahren gegen Bußgeld eingestellt wird, kann der Richter oder der Staatsanwalt bestimmen, dass die Zahlung einem guten Zweck zukommt. Meist bekommt dann eine Organisation das Geld, deren Arbeit einen Bezug zur Tat hat – bei häuslicher Gewalt zum Beispiel ein Frauenhaus, bei Kindesmisshandlung eine Kinderschutzorganisation, und Rechtsextremisten zahlen für Aussteigerprojekte. Die wohltätigen Einrichtungen aber profitieren in viel geringerem Umfang von den Bußgeldern, als möglich wäre. Denn ein anderer Weg ist bequemer. „Bei Zahlung an die Justizkasse kriege ich automatisch einen Zahlungsbeleg, der ist grün, fällt in der Akte also auf“, sagt ein Richter. „Bei gemeinnützigen Organisationen muss ich unter Umständen dreimal nachfragen, ob die Zahlung eingegangen ist.“

Die Regelung gilt nur für Verfahren, die eingestellt werden. Geldstrafen am Ende eines Strafverfahrens gehen grundsätzlich an die Staatskasse, ebenso Bußgelder etwa für Verkehrsverstöße.

Auf der Bußgeldliste kann sich im Übrigen jeder gemeinnützige Träger eintragen lassen, mittlerweile konkurrieren dort tausende. Es ist leicht, auf diese Liste zu kommen – egal, ob eine Organisation so groß ist wie das Deutsche Rote Kreuz oder so klein wie der Förderverein einer Grundschule. Deswegen steigt die Zahl der Verzeichneten stetig, und je mehr draufstehen, desto weniger fällt für den einzelnen ab. „Manche erhalten 50 Euro in einem Jahr oder auch gar nichts“, sagt Tobias Kaehne, Sprecher der Strafgerichte. Viele Vereine und Initiativen stehen in allen Gerichtsbezirken bundesweit auf dieser Empfängerliste für „Geldauflagen in Ermittlungs-, Straf- und Gnadenverfahren zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen“. In Berlin wird sie beim Amtsgericht Tiergarten geführt.

Hauptprofiteur der Berliner Bußgeldzahlungen ist die Alfred und Angelika Gutermuth-Stiftung. Fast 115 000 Euro bekam sie im Jahr 2010 zugewiesen, wie eine Übersicht der Justizverwaltung zeigt. Stifter Alfred Gutermuth, dessen Frau 1999 an Leukämie starb, freut sich über diesen Erfolg. „Im Jahr 2001 habe ich 300 Briefe an Richter und Staatsanwälte geschrieben. Einer hat reagiert. Seitdem hat sich das ganz kontinuierlich aufgebaut.“ Mit seiner Stiftung fördert er die Leukämieforschung.

Die Berliner Tafel (Platz drei mit knapp 80 000 Euro) steht ebenso auf der Liste wie ein „Kinderladen für schwer erziehbare Eltern“ (Platz 203 mit 750 Euro), die Prostituiertenberatung Hydra, der Weiße Ring oder das Franziskanerkloster Pankow. Schlusslicht mit Platz 307 war 2010 das Diakonische Werk mit 50 Euro. Für 2011 war keine Aufstellung zu haben.

Es gibt sogar Agenturen, die auf „Geldauflagenmarketing“ spezialisiert sind. Sie beliefern zum Beispiel gemeinnützige Organisationen mit Namenslisten aller zuweisungsberechtigten Richter und Staatsanwälte bundesweit, geordnet nach Gerichtsbezirken. Die werden dann von Vereinen und Initiativen mit Flyern versorgt, in der Hoffnung, dass sie diese bei der Zuweisung öfter bedenken. Richter bekommen so viele Flyer, dass manche sie gleich wegwerfen.

„Es funktioniert am besten über den persönlichen Kontakt“, meint deshalb Stefanie Gießen von jung und jetzt e.V., einer Onlineberatung für Jugendliche. „Einen Richter kennen wir, und nun sind wir mal in einem Strafverfahren bedacht worden. Das hilft uns natürlich.“ Der Verein ist auf Spenden angewiesen.

Eine zweite Chance können all jene, die auf der Liste stehen, aber leer ausgegangen sind, über den 2010 aufgelegten „Sammelfonds für Geldauflagen zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen (Samba)“ bekommen. Der Fonds vergibt Gelder zweckgebunden für Maßnahmen im Bereich der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe und zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen. Er wird von den Richtern und Staatsanwälten gut angenommen. Im Jahr 2010 wurden ihm 75 000 Euro zugewiesen.

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