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Schon 2014 war das Thema Verkehrssicherheit ein Aufreger in Steglitz-Zehlendorf.

© Anett Kirchner

BVV-Sitzung im April in Steglitz-Zehlendorf: Debatte um sichere Schulwege im Südwesten

Dass die Schulwege im Bezirk nicht sicher sind, darüber waren sich die BVV-Verordneten am Mittwoch einig. Doch es gab Streit darüber, wer dafür verantwortlich ist.

Es gibt Themen, zu denen hat im Grunde jeder Mensch eine Meinung. Weil sie tief in die Gesellschaft hineinwirken, sich Menschen widmen, die besonderen Schutz brauchen: nämlich Kindern. Entsprechend groß war die Aufregung, als am Mittwoch in der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Steglitz-Zehlendorf eine Große Anfrage der Grünen zum Thema „Sichere Schulwege“ diskutiert wurde. In einem Punkt waren sich alle Bezirksverordneten einig: morgens und nachmittags herrschen insbesondere vor den Grundschulen im Bezirk zum Teil unzumutbare, chaotische Zustände. Und es wird immer schlimmer. Doch woran liegt es? Etwa am Bezirksamt, an den Schulen oder den Eltern?

„Selbst wenn ein Polizeibeamter vor Ort ist, halten sich die Eltern nicht an die Verkehrsregeln“, schilderte Michael Karnetzki (SPD) seinen Eindruck, der als Bezirksstadtrat für Ordnung und Verkehr zuständig ist. Parken in zweiter Reihe, riskante Wendemanöver, zu schnelle Geschwindigkeit – all das sei häufig zu beobachten. „Manche Eltern würden ihr Kind am liebsten direkt in das Klassenzimmer hineinfahren“, überspitzte er und betonte zugleich, dass das Ordnungsamt in Bezug auf die Verkehrssicherheit durchaus tätig sei.

In 30 Jahren sei das Bezirksamt nie aktiv auf die Schulen zugekommen

Etwa vor den Grundschulen, die an Hauptstraßen liegen, gelte überall Tempo 30. Haupteingänge an verkehrsreichen Straßen würden in ruhige Nebenstraßen verlegt, Fußwege verbreitert, neue Fußgängerüberwege eingerichtet. „Doch es gibt hier keine Allmacht des Ordnungsamtes“, machte er weiter deutlich. Für die Verkehrssicherheit vor Schulen seien mehrere Behörden zuständig; allen voran das Schulamt.

Als Michael Karnetzki das Thema Zuständigkeit ansprach, reagierte der CDU-Bezirksverordnete Harald Mier regelrecht allergisch. „Ich will von einem Bezirksstadtrat nicht hören, was nicht geht, ich will hören, was geht!“ Er selbst sei 30 Jahre lang in einer Schulleitung tätig gewesen und erinnere sich nicht, dass das Thema jemals vom Bezirksamt aktiv an seine Schule herangetragen worden sei. Das Ordnungsamt könne hier mehr leisten und mehr Präsenz zeigen.

Hinsichtlich der Kritik an den Eltern stimmte er jedoch mit Michael Karnetzki überein. Zwar trauten sich viele nicht, die Eltern zu kritisieren, aber darüber müsse man reden dürfen. „Denn es ist auch die Aufgabe der Politik, Eltern unbequeme Wahrheiten zu sagen“, erklärte Harald Mier.

In der BVV wurde am Mittwoch hitzig debattiert.
In der BVV wurde am Mittwoch hitzig debattiert.

© Anett Kirchner

Dass das Verkehrschaos morgens vor den Grundschulen im Wesentlichen von den Eltern ausgehe, bestätigte auch der FDP-Bezirksverordnete Andreas Thimm. Aber er warnte gleichzeitig vor einer „Stigmatisierung des motorisierten Individualverkehrs“. Berlin lebe vom Individualverkehr. Statt einzelne Verkehrsteilnehmer verdrängen zu wollen, erachte er ein gutes Nebeneinander für sinnvoll.

Es folgte ein regelrechter Aufschrei aus den Reihen der Bezirksverordneten. „Das ist so was von gestern“, brüllte jemand und: „Ich habe selten so einen Quatsch gehört“, machte sich ein anderer Luft – obwohl Zwischenrufe in der BVV-Sitzung nicht erlaubt sind. Nur Kay Heinz Ehrhardt, der FDP-Fraktionsvorsitzende, spendete einsamen Beifall.

Das konnte offenbar Susanne Mertens (Grüne), Initiatorin der Großen Anfrage, nicht auf sich sitzen lassen. Schnellen Schrittes lief sie zum Rednerpult. „Sie haben mich jetzt angepiekst, Herr Thimm, und da bin ich empfindlich“, erklärte sie. Ideologien seien hier nicht angebracht. Sie sei selbst auf ihr Auto angewiesen. Es gehe hier ausschließlich um sichere Schulwege für die Kinder im Bezirk.

„Als ich ein Schulkind war, bin ich allein zu Fuß zur Schule gegangen oder mit dem Rad gefahren“, sagte sie. Woran liegt es also, dass das heute nicht mehr so ist? Susanne Mertens erklärte, dass sie in verschiedenen Schulen bei den Eltern nachgefragt habe. Die Antworten seien zum Teil sehr unterschiedlich gewesen. Drei Beispiele: manche Schulwege führten durch Wälder, andere vorbei an verkehrsreichen Einkaufsstraßen, noch andere an gefährlichen Kreuzungen.

„Es muss jede Schule individuell betrachtet werden“, fuhr sie fort und sprach sich eindringlich dafür aus, dass endlich eine bezirkliche „Lenkungsgruppe für sichere Schulwege“ gegründet werde. Einen entsprechenden BVV-Beschluss gebe es bereits seit April 2016.

Eltern als Verkehrswächter?

Dazu hatte Bezirksstadtrat Michael Karnetzki zuvor erklärt, dass wegen eines Leitungswechsels in der Verkehrsbehörde die Lenkungsgruppe bislang nicht gebildet werden konnte. Seit 3. April sei die Stelle jetzt neu besetzt und der neue Leiter werde sich bestimmt der Aufgabe annehmen.

Peer Döhnert, der Fraktionsvorsitzende der AfD, brachte indessen einen Lösungsvorschlag mit. Die Eltern könnten als „Verkehrswächter“ agieren. Wenn sich jemand nicht an die Verkehrsregeln halte, sollten sie das sofort bei der Polizei anzeigen. „Denn ich finde, die Sicherheit der Schulwege ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft“, sagte er. Hier müssten sich Eltern und Lehrer gleichermaßen kümmern.   

Auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene hob das Thema auch Norbert Buchta von der SPD-Fraktion. „Wir müssen uns fragen, wie wir mit der Verantwortung unserer Kinder umgehen“, gab er zu bedenken. Eltern sollten ihren Kindern mehr zutrauen und sie zur Selbstständigkeit erziehen.

Dafür bekam er viel Beifall aus der Linksfraktion. Denn zuvor hatte Hans-Walter-Krause von den Linken erklärt, dass die Angst der Eltern, dass ihr Kind nicht sicher zur Schule komme, Hauptgrund für die Probleme sei. Darüber müsse man reden. Und er regte eine öffentliche Debatte mit allen Beteiligten und im Beisein der Presse an.

Dass sich immer weitere Bezirksverordnete zu Wort meldeten, entweder Kollegen verteidigten, neue Vorschläge einbrachten oder sich rechtfertigen, macht deutlich, wie sensibel dieses Thema ist. Doch dann beantragte die AfD, die Debatte zu beenden. Der Antrag wurde angenommen.

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