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Café Einstein in Berlin: Der Herr der Tische

Er war Protokollchef der Volkskammer – und fast zwei Jahrzehnte im Café Einstein Garant für freundliche Noblesse: Dieter Wollstein geht in den Ruhestand.

Jetzt tut er plötzlich, was er sein Leben lang nie getan hat: untertauchen. Will all dem Trubel um seinen Abschied entfliehen, erst nach München, dann nach Budapest. Dieter Wollstein on tour. Abstand gewinnen, Neues beginnen. Der Geschäftsführer im „Hinterzimmer der Macht“, wie manche das Café Einstein Unter den Linden nennen, hat die rote Linie des Ruhestands schon um ein Jahr überschritten. „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!“ Nein, Udo Jürgens, bei Dieter Wollstein hört eine gewichtige Etappe erst einmal auf, dieses Immerdasein für das Leben der anderen, dieser Dauerlauf zwischen dem prall vollen Bestellbuch auf dem Tresen und den Gästen, die in diesem berühmten Café so zufrieden sind, weil sie sich gut behandelt fühlen.

Wenn Dieter Wollstein früh um fünf aus Pankow ins Einstein kam, dann munterten ihn seine Planungen für die nächsten zehn, zwölf Stunden auf, seine Freundlichkeit übertrug sich auf die Kellner, die diese Art Herzensbildung an die Gäste weitergaben. Er machte keinen Unterschied zwischen Joschka Fischer und dem touristischen Gast. „Bitte folgen Sie mir“, sagte Herr Wollstein als Signal, dass alles gut wird mit dem Platzieren. Das hat der Thüringer von der Pieke auf gelernt, zuerst im berühmten Hotel Elephant in Weimar, später im Palast der Republik, 1975, wo er Chef in der viel gelobten Gastronomie mit ihren volkstümlichen Preisen und ewigen Warteschlangen wurde.

Dieter Wollstein sagt selbst, dass er im ganzen Elend der Ost-Gastronomie eine ziemlich untypische Erscheinung war. Für ihn hatte der Gast auch damals König zu sein, und das berüchtigte „Reserviert“-Schild kam nur in Ausnahmefällen auf den Tisch.

Ab 1984 stand er erneut auf der Karriereleiter. Die Protokollabteilung der Volkskammer der DDR, die ab und zu im Palast der Republik tagte, war Dieter Wollsteins neue Arbeitsstelle. 1986 wurde er Protokollchef der Volkskammer und denkt heute noch gern an diese „unglaublich spannende interessante Zeit“ mit ein bisschen Duft der großen, weiten Welt, denn „das Protokoll ist überall gleich. Auch wir hatten ausländische Gäste, Staatsoberhäupter und Parlamentspräsidenten“, sagte Wollstein dem Zeit-Magazin. Dabei musste alles stimmen, vom Empfang über die diversen Essen bis zu dem Moment, an dem der teure Gast im Hotel oder in der Botschaft seines Landes ganz für sich sein wollte. Damals habe er für seinen heutigen Job vor allem Respekt gelernt, „dass man die Menschen achten und ihnen ein gutes Gefühl geben muss, damit sie sich wohlfühlen“. Eigentlich machte er im Einstein auch nichts anderes als Protokollchef zu sein mit vielen dienstbaren Geistern.

Ins Café kam er vor 17 Jahren, kurz nach der Eröffnung im März 1996. Zur 15-Jahr-Feier lobte der Gründer und Inhaber Gerald Uhlig-Romero seinen Geschäftsführer „als Garant für die freundliche Noblesse, mit der hier jeder Gast behandelt wird“. Tosender Beifall der Ehrengäste. Darunter waren manche, deren Porträts an der Pinnwand in Dieter Wollsteins Büro hängen. Er dirigierte 1990 die große Wiedervereinigungsfeier im Schauspielhaus mit der Ost-West-Prominenz, und als später Helmut Kohl einmal ins Einstein kam, sagte der: „Guten Morgen, Herr Wollstein!“ Lothar Heinke

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