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Berlin: Cafe Sociale: Große Politik in der kleinen Kneipe

Junge Genossen proben den Aufstand gegen die Modernisierungspolitik des SPD-Landeschefs Strieder und wollen auf dem Parteitag ein Fass aufmachen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wer sich am U-Bahnhof Weberwiese, Frankfurter Allee, durch die hohen Häuserzeilen mogelt und auf der Gubener Straße gen Süden spaziert, erreicht nach fünf Minuten das „Cafe Sociale“. Weinrote Fassade, offen stehende Glastüren, Blick auf den saftig-grünen Comeniusplatz. Draußen stehen ein paar Bänke, drinnen sitzen ein paar junge Leute beim Milchkaffee; wahlweise Weizenbier. „Uns finden Sie hinten links“, hat Ingo Siebert gesagt. Der Ort ist Programm.

Hier treffen sich ab und zu acht SPD-Mitglieder zum stadtpolitischen Meinungsaustausch. Eine Arbeitsgruppe der Parteilinken aus vier Kreisverbänden. Siebert ist einer ihrer Sprecher. Anfang des Jahres haben sie sich einen Namen gegeben: „AG Cafe Sociales“. In der Berliner SPD machen sie jetzt Furore, weil sie einen Leitantrag des Landesvorstands zur Modernisierungspolitik wacker niedergekämpft haben. Sie werfen der Parteiführung eine „abstrakte Privatisierungsideologie“ vor, wie Michael Karnetzki aus Steglitz-Zehlendorf sagt, der auch ins „Cafe Sociale“ gehört. Was Rot-Rot betreibe, sei ein „Missbrauch der Zivilgesellschaft“. Flugs entstand ein Gegenantrag, der sich „Berlin gestalten!“ nennt.

Dazu gesellten sich weitere Stellungnahmen, Ersetzungs- und Alternativanträge, Diskussionspapiere und Forderungen auf Nichtbefassung mit dem Vorstands-Antrag. Über Ostern hatte der Chef der SPD-Antragskommission, Andreas Matthae, alle Mühe, Schadensbegrenzung zu betreiben und einen neuen Leitantrag zusammen zu puzzeln. Das gelang. Ohne den SPD-Landeschef Peter Strieder, der im Urlaub war und gelegentlich mit den unzufriedenen Genossen telefonierte.

„Ein Konsens ohne Strieder, das ist doch auch mal schön“, frotzelt Mark Rackles. Der sitzt manchmal auch im „Cafe Sociale“, gehört aber nicht zur AG. Rackles ist SPD-Kreischef in Friedrichshain-Kreuzberg und arbeitet in der Senatskanzlei, wo er für die Europapolitik zuständig ist. Rackles möchte möglichst bald ins Europaparlament einziehen; als Nachfolger von Dagmar Roth-Behrendt, die 2004 wohl ein letztes Mal kandidieren wird. Am Freitagabend darf EU-Kommissar Günter Verheugen zuschauen, wie die SPD-Parteitagsdelegierten im Palais am Funkturm ihre Kandidaten für Straßburg nominieren. Rackles wird sich vorsorglich als Nachrücker für Roth-Behrendt bewerben.

Die Karrierepläne der jungen Frauen und Männer, die im „Cafe Sociale“ bei leiser Jazzmusik über Gott, Strieder und die Welt philosophieren, sind so weit noch nicht gediehen. Obwohl eine von ihnen durchaus auf Tuchfühlung mit der großen Politik ist: Die Sozialpädagogin Ute Krüger ist persönliche Referentin des Stadtentwicklungssenators, den das weiter nicht stört. Strieder wundert sich nur: „Was, das Cafe Sociale gibt es wirklich?“ Er ist es gewohnt, dass die Parteilinke sich in seinen Amtsstuben tummelt. Zum Beispiel Bibi Günther, der nicht nur die Abteilung 6/7 der SPD in Friedrichshain-Kreuzberg leitet, sondern auch die Servicestelle „Kommunikation“ in Strieders Verwaltung. Im März hat Günther ein Papier gegen den ungeliebten Leitantrag des Landesvorstands geschrieben.

Siebert und Krüger, aber auch die Kaffeehaus-Sozialdemokraten Karnetzki, Holger Thärichen und Eckhart Seidel kennen sich schon seit dem letzten Jahrhundert . Sie alle gehörten in den neunziger Jahren dem Landesvorstand der Jungsozialisten an. Jetzt sind sie, als „AG Cafe Sociale“, anerkannter Bestandteil der „Neuen Vereinigten Linken“. Nicht zu verwechseln mit der „Vereinigten Linken“, (Donnerstagskreis), die vom Spandauer SPD-Abgeordneten Hans-Georg Lorenz und der Ex-Parlamentarierin Gerlinde Schermer gemanagt wird. Am Sonnabend, wenn Franz Müntefering zum Parteitag kommt, wollen sie alle gemeinsam Schröders Agenda 2010 durchforsten, dem Landesvorstand sozialdemokratische Politik beibringen – und so richtig ein Fass aufmachen.

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