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Berlin: Caligari zum Klavier

Der Pianist Stephan von Bothmer macht die Open-Air-Stummfilmnächte zum Musikerlebnis

Wenn es Nacht wird in der Pohlstraße, erscheinen sie wieder draußen auf der Leinwand: Faust und Doktor Caligari als mythische Gestalten des Stummfilms in zwei Meisterwerken von Robert Wiener und Friedrich Wilhelm Murnau. Ab heute gibt es wieder an vier Samstagen Klassiker und noch unbekannte Schätze des Stummfilms zu sehen, mit Live-Klavierbegleitung versteht sich, nein, nicht von Willy Sommerfeld, der Legendäre ist ja schon über hundert, sondern von Stephan von Bothmer, und der ist erst Mitte dreißig.

Stephan von Bothmer ist ein vielseitiger Komponist und Pianist, der unter anderem auch fürs Theater gearbeitet und eine Rockoper geschrieben hat. Seit 1998 tritt er vor allem in seinen Stummfilmkonzerten auf, regelmäßig im Kino Babylon in Mitte, aber auch auf Gastspielreisen durch Deutschland. Als er Musik studierte, ahnte er noch nicht, dass er seine kompositorischen und pianistischen Fähigkeiten einmal mit so viel Begeisterung für die Begleitung von Werken aus der Anfangszeit der Lichtspielkunst einsetzen wird.

Der Zufall hat mal wieder entschieden. Studenten der Humboldt-Universität suchten für ihren Filmclub eine musikalische Begleitung, der Film hieß „Babylon“, die Musik hatte immerhin Dimiter Schostakowitsch komponiert. Doch von Bothmer spielte seine eigene Musik. Nicht weil er sich größenwahnsinnig für besser hielt als Schostakowitsch. „Doch ich hatte den Eindruck, dass meine Musik heute besser zum Film passt.“ Er betont heute. Damals sei ihm klar geworden, wie entscheidend es für einen solchen Film sei, zu welcher Zeit eine Musik komponiert wurde. Keine Dialoge, schwarz-weiß – diese Filme seien viel offener als die Tonfilme. „Da habe ich gemerkt, dass es sinnvoll ist, sich mit Stummfilm zu beschäftigen und neue Musik dafür zu schreiben.“

Von Bothmer lässt die alten Stummfilmmusiken, sofern sie überhaupt erhalten sind, keineswegs links liegen, aber er verbindet eigene Motive und Themen so wie solche aus der klassischen und der neuen Musik mit dem „Original“. Die Musik, so von Bothmer, sei nie an jedem Abend gleich und nie perfekt. Wichtig ist ihm „der Respekt vor den alten Filmen und ihrem eigenen Rhythmus“.

Schon der Festival-Ort ist eine sehr merkwürdige Nische der Stadt. Genau dort, wo Tiergarten beginnt, fährt die U-Bahn noch als Hochbahn vom Gleisdreieck kommend durch den zweiten Stock eines Wohnhauses hindurch und von da weiter durch einen Tunnel über gemauerte Bögen hinweg, wie man sie von der Stadtbahn kennt, in den Untergrund zum Bahnhof Kurfürstenstraße. In den Bögen haben sich Künstler ihre Ateliers und Handwerker ihre Betriebe eingerichtet. Wer das nicht weiß, sieht nur ein rätselhaftes Bauwerk. Oder er übersieht es. Auf seiner schroffen Backsteinwand fletschte Nosferatu im vergangenen Sommer die Zähne. In den Nischen gedeiht das Kreative eben oft besser als auf dem Präsentierteller. Die Open-Air-Stummfilmnächte mit Live-Musikbegleitung waren ein großer Erfolg, da kamen zu den sechs Veranstaltungen jeweils zwischen 100 und 200 Besucher.

Stefan von Bothmer ist in seinem Unternehmen „Stummfilmkonzerte“ nicht nur sein Musiker, sondern auch der, der mit Leidenschaft forscht, alle möglichen Quellen anzapft und in Archiven stöbert und dabei schon manche Entdeckung machen konnte und manchen schon vergessenen oder nie richtig bekannt gewordenen Schatz gehoben hat. „Stephan von Bothmer ist der Nachfolger von Willy Sommerfeld.“ Sagt jedenfalls Willy Sommerfeld. Burkhard MeiseDas Festival ist in der Pohlstraße 11, Tiergarten. Beginn jeweils um 21.30 Uhr. 28. Juli: Faust (Friedrich Wilhelm Murnau, D 1926). 4. August: Sein größter Bluff (Harry Piel, D 1927). 11. August: Ich möchte kein Mann sein (Ernst Lubitsch, D 1919). Zwei Scherenschnitt-Filmmärchen von Lotte Reiniger. 18. August: Das Cabinet des Dr. Caligari (Robert Wiene, D 1919).

Burkhard Meise

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