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Berlin: Car-Napper vor Gericht: Das Heroin war schuld

Der 25-jährige Dennis M. nahm eine Autofahrerin als Geisel. Er habe schnell ins Gefängnis gewollt, sagte er – um von Drogen wegzukommen

Wenn ihm ein Satz besonders wichtig erscheint, legt Dennis M. seine Stirn in Falten. „Nüchtern kann ich das alles nicht nachvollziehen“, sagt er den Richtern und sieht leidend aus. „Ich dachte, wenn ich eine Straftat begehe, komme ich in Haft und von den Drogen weg.“ Er spricht am ersten Tag des Prozesses lange über die Sucht, die seinen Tagesablauf bestimmt habe, und von seiner Panik bei der Geiselnahme. Die Todesängste der Autofahrerin, die er in ihrem VW Polo gekidnappt hatte, streift der 25-jährige Angeklagte nur am Rande.

Am 24. Juni letzten Jahres zog Dennis M. an der Kreuzung Sylter- Ecke Seestraße in Wedding eine Schusswaffe. Er lief auf den roten Kleinwagen zu, in dem Carola E., 38, und ihre 18-jährige Tochter Alice saßen. Die Tochter musste aussteigen, die Mutter wurde von Dennis M. gezwungen, mit ihm auf die Stadtautobahn Richtung Süden zu fahren. Ein anderer Autofahrer beobachtete die Szene und nahm sofort die Verfolgung auf. Über sein Mobiltelefon informierte er die Polizei. Beamte stoppten den Polo schließlich kurz vor der Ausfahrt Buschkrugallee. Dennis M. hätte sich da ergeben können. Sein angebliches Ziel, so schnell wie möglich in Haft zu kommen, war zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit erreicht. Er aber wollte fliehen, setzte sich nun selbst ans Steuer. Als ein Beamter erst in die Luft und dann auf einen Reifen des Wagens schoss, sprang der Kidnapper aus dem Polo, nahm seine Geisel in den Schwitzkasten und drückte ihr die Waffe gegen die Schläfe. Als er versuchte, ein anderes Auto zu stoppen, setzten die Beamten Pfefferspray ein und überwältigten ihn.

„Es machte klick, als die Frau sagte, sie wolle nicht sterben“, sagte M. vor dem Berliner Landgericht. Er habe Carola E. zuletzt als Schutzschild genommen, „aus Angst, selbst abgeknallt zu werden“. Die Waffe will der Angeklagte erst am Tattag von einem anderen Süchtigen bekommen haben. Und überhaupt: „Ich konnte ja keinen klaren Gedanken mehr fassen, habe mir an dem Tag einen Schuss nach dem anderen gesetzt.“

Der aus Baden-Württemberg stammende M. hat bereits als 14-Jähriger Heroin und Kokain konsumiert. Er stahl und kam mehrfach ins Gefängnis. 1997 tötete er seine damalige Freundin. Dennis M. berichtete einem Gutachter von Stimmen. Seine Rechnung ging auf: Als psychisch krank wurde er nicht verurteilt, sondern in die Psychiatrie eingewiesen. Vor etwa zweieinhalb Jahren wurde er entlassen und zog nach Dresden, zusammen mit seiner Frau, die er in der Zwischenzeit kennen gelernt hatte. Eine Woche vor der Tat kam er nach Berlin, angeblich, um eine Therapie zu beginnen. „Das frühere Gutachten war falsch“, sagte gestern ein anderer Gutachter. M. verstehe es, andere zu manipulieren. Bei der Geiselnahme sei er aufgrund eines Heroin-Kokain-Cocktails zwar vermindert schuldfähig gewesen. Eine Unterbringung in der Psychiatrie aber wäre „ohne Erfolgsaussichten“. Der Prozess wird fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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