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Berlin: CDU auf Tour: Henkel zum Anfassen

Spitzenkandidat schwört Fans auf Bustrip ein – mit Slogans wie: „Arbeitsplätze statt Grillplätze“

Friedlich döst der Potsdamer Platz in den Sonntagmorgen. Nur ein Psychotester von Scientology hat schon seinen Klapptisch aufgebaut, als die Fahrgäste von Frank Henkel den Wahlkampfbus besteigen. Sie haben sich angemeldet für die erste von vier Touren, auf denen der Spitzenkandidat der CDU seine Sicht auf Berlin präsentiert. Henkels Stichwortliste beginnt mit „Willkommen an diesem schönen / verregneten Tag“. Aber als der gelbe Doppeldeckerbus mit dem offenen Faltdach losgefahren ist, kommt Henkel ohne Spickzettel aus. Er wolle „Berlin ein Stück weit einatmen“ und zeigen, wo es unter Rot-Rot hinter seinen Möglichkeiten bleibt. Mit an Bord sind sein ostsachverständiger Fraktionsvize Mario Czaja sowie der Abgeordnete Uwe Goetze, dessen Wahlkreis in der City West liegt.

Am Roten Rathaus vorbei – „dorthin wollen wir erst am 18. September“ – geht es zur Mediaspree und weiter zur Rummelsburger Bucht. Dort kann Henkel den Plänterwald zeigen, um dessen Siechtum sich der Senat zu wenig kümmere. Das Hauptproblem, dass die Deutsche Bank jedem Interessenten partout die Altschulden auf den früheren Vergnügungspark überhelfen will, erwähnt er nicht. Dafür sagt er, dass er vorhin leider vergaß, auf „die wunderschöne Oberbaumbrücke“ hinzuweisen. Auch die steht nicht auf seinem Zettel – aber Henkel mag die Stadt zu sehr, als dass er eine solche Sehenswürdigkeit vergessen könnte. Das spüren auch die rund 60 Passagiere an Bord, die sich nicht kennen, aber ähneln: Fast alle sind zwischen 60 und 70 Jahre alt, gut angezogen und nicht zuletzt anhand ihrer filigranen Brillen als Sympathisanten der CDU zu erkennen. Ein Paar aus Reinickendorf sagt, dass „vom Schwager der Enkel“ ihnen die Tour empfohlen habe. Die führt nun durch die Tristesse von Oberschöneweide, wo Henkel den Irrglauben an die reine Dienstleistungsmetropole ohne industrielle Basis geißelt. Am Adlergestell ist der von ihm beschworene Dauerstau zwar am Sonntag schwer vorstellbar, aber die Notwendigkeit zur Verlängerung der Stadtautobahn lässt sich im fahrenden Bus allemal leichter erklären als auf einem Wahlkampfplakat.

„Gefällt es Ihnen?“, fragt Henkel von unten ins Mikro. „Dann trampeln Sie mal im Oberdeck!“ Es folgt Getrampel – nicht ekstatisch, aber zufrieden. Mit geschlossenem Foliendach braust der Bus nach Schönefeld für einen flüchtigen Blick auf den Großflughafen. Henkel spricht ein Bekenntnis zum Drehkreuz und vage von „Vertrauensschutz“ beim Fluglärm. Dann geht es zurück nach Neukölln, wo im Süden das Grundwasser in die Keller drückt und im Norden Roma-Familien unter erbärmlichen Bedingungen hausen. Henkel spricht von berechtigten Sorgen der Einheimischen vor Zuwanderung ohne Integration. „Eine Art Multi-Kulti-Straßenfest“ sei nicht die Lösung, sagt er – und erhält Szenenapplaus. Der ist ihm auch für den Slogan „Arbeitsplätze statt Grillplätze“ im Angesicht des Ex-Flughafens Tempelhof gewiss.

Die innere Sicherheit beschäftigt Henkel bis Charlottenburg. Rot-Rot spare die Polizei kaputt, die U-Bahn sei gefährlicher geworden, wie die jüngsten brutalen Überfälle gezeigt hätten. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere ist die seit Jahren sinkende Zahl der Straftaten, aber die Fahrgäste im Bus stehen vorbehaltlos zu Law and Order.

Kuddelmuddel beim vom Senat verordneten „JüL“, dem jahrgangsübergreifenden Lernen, die nervige rote Welle in der Kantstraße und die kaum noch gepflegten Grünflächen um den Ku’damm runden das Bild ab, das Henkel mit dem Fazit versieht: „Berlin ist eine schöne Stadt. Sie wird nur schlecht regiert.“

Die Einladung zum anschließenden Plausch bei einer Bratwurst am Potsdamer Platz nehmen fast alle an. Weil sie auch nach fast vier Stunden noch nicht genug haben von ihrem Spitzenkandidaten. „Ich hoffe für ihn und für uns, dass die Zeit bis zur Wahl reicht, damit er bekannter wird“, sagt einer. Und dass es Ressourcenverschwendung sei, wenn nur treue CDU-Wähler im Bus sitzen. Ein anderer findet die Berliner erstaunlich anspruchslos, die sich laut Umfragen mit Klaus Wowereits Arbeit mehrheitlich zufrieden erklären. „Frank Henkel muss viel mehr in die Öffentlichkeit“, sagt seine Frau. „Der kommt ehrlich rüber und trifft den Nerv.“ Henkel dankt seinen Gästen, dass sie sich die Zeit für ihn genommen haben. Auch daran denkt er ohne Spickzettel. Stefan Jacobs

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