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Berlin: CDU im Übermut, SPD im Kleinmut (Leitartikel)

Berlin ist ein eigenwilliges Pflaster. Aber wenn die Stadt nicht völlig aus dem Rahmen der Republik fällt, wird sich bei der Wahl am 10.

Berlin ist ein eigenwilliges Pflaster. Aber wenn die Stadt nicht völlig aus dem Rahmen der Republik fällt, wird sich bei der Wahl am 10. Oktober das wiederholen, was sich im Saarland und in Brandenburg eindrucksvoll gezeigt hat: die Sozialdemokraten beziehen schmerzhafte Prügel für das Erscheinungsbild der rot-grünen Bundesregierung, die CDU und die PDS profitieren davon. Dramatische Gewinne und Verluste sind schon keine Überraschungen mehr. Das hat mit der im Westen schwindenden und im Osten mit Ausnahme der PDS kaum vorhandenen Parteienbindung der Wähler zu tun. In Berlin geht es längst nicht mehr um den Wechsel. An Rot-Grün glauben nicht einmal mehr Träumer. Spannend bleibt dagegen die Frage, wie die Parteien abschneiden, denn das kann nicht ohne Folgen für die Senatsbildung bleiben. Insofern kann die CDU ihrer Siegesaussichten nicht recht froh werden. So lange sie nicht allein regieren kann, so lange sie auf die SPD als einzig möglichen Koalitionspartner angewiesen ist, kann es der Union nicht goldig gehen, wenn es den Sozialdemokraten dreckig geht. Je schlechter die SPD abschneidet, umso schwerer fällt ihr die Fortsetzung der Großen Koalition nach nunmehr neun Jahren. Wir haben es 1995 schon erlebt.

Nie spielte die Bundespolitik bei Landtagswahlen eine so tragende Rolle wie in diesem Herbst. Das ist auch in Berlin so. Die Grünen kommen als Großstadtpartei im Westen gewiss glimpflich davon. Muss die SPD scheitern? Klimmt und Stolpe hat es nicht geholfen, dass sie auf Distanz zum Schröder-Kurs gingen. Der Diepgen-Herausforderer Momper versucht es andersherum. Man darf gespannt sein, ob er mit dem uneingeschränkten Ja zur Linie der Bundesregierung besser fährt. Die Berliner SPD-Spitze will sich sich davon nicht abkoppeln. Sie kann es um der eigenen Glaubwürdigkeit willen auch gar nicht. Sie hat ja - von Berlin gingen schon oft Veränderungen aus - den Weg der Haushaltskonsolidierung und der strukturellen Anpassungen an die neue Wirklichkeit nach der Wende geradezu erfunden. Ohne diesen Kurs stünde die Stadt heute sicher schlechter da.

Die Wählergunst hat eben durchaus nicht nur mit dem Bundestrend zu tun, sondern auch mit dem ureigenen Berliner Klima. Halten wir fest: Die SPD hat das modernere Programm, aber sie hat sich nicht selbst modernisiert. Ebenso wie die CDU bekannte sich auch die SPD-Basis nur widerwillig zum Kurswechsel. Während sich andere mit den Gewerkschaften herumschlugen, hielt die CDU den Finger in den Stimmungswind und sang das Lied vom sozialen Frieden. Eine Große Koalition irrationaler Eifersüchteleien und Machtkämpfe war zu besichtigen. So bleibt an der SPD die strenge Askese, an der CDU das Prinzip Hoffnung hängen. Das mag ungerecht sein, aber es kommt eben nicht nur auf das Was, sondern auch auf das Wie an. Wer Stimmungen nicht nachlaufen, sondern erzeugen will, darf sich nicht selbstquälerisch mit seinem werten Innenleben aufhalten. Er muss gekonnt für das Neue werben. Von vorausschauender Strategie und raffinierter Taktik versteht die CDU mehr, denn sie hat es eben nicht mit einer unruhigen Partei zu tun.

Noch ist die Wahlschlacht nicht geschlagen, sie dauert noch mehr als vier Wochen. Aber der scharfe Wind, der aus Brandenburg herüberweht, bläst wiederum der SPD ins Gesicht. Wenn sich die Stolpe-SPD für die PDS als Koalitionspartner entscheidet, nutzt das in Berlin nur der CDU und der PDS. Die Wähler sehen Parteien als Ganzes. In Berlin hat die SPD schon lange gegen die Unterstellung anzukämpfen, sie wolle sich mit Hilfe der PDS aufs rot-grüne Pferd setzen. Sollte allerdings die CDU über den Wahltag hinausdenken und labile Verhältnisse verhindern wollen, müsste sie aufhören mit dieser Misstrauenskampagne. Sie will schließlich mit ihrem Koalitionspartner weiter vom selben Teller essen. Weil sie es müssen wird.

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