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Foto: Kitty Kleist-Heinrich

© Kitty Kleist-Heinrich

CDU-Politiker im Problemkiez in Berlin-Kreuzberg: Was Innensenator Henkel am Kotti erlebte

Das Kottbusser Tor zieht alle an: Diebe und Dealer. Mittenmang: Anwohner. Frank Henkel hat sich in Kreuzberg umgeschaut. Er kennt den Kiez gut: Der Innensenator ist dort zur Schule gegangen.

Von Sabine Beikler

Ein Junkie betrachtet am Aufgang zum U-Bahnhof Kottbusser Tor seine Armvenen, 20 Meter weiter kauft eine junge Frau beim türkischen Händler Obst und Gemüse. Auf den Treppen vor dem „Neuen Kreuzberger Zentrum“, kurz: NKZ, sitzt eine Gruppe junger Männer und beobachtet Passanten. Vor ihnen steht Innensenator Frank Henkel (CDU) und schaut sich um. „Ich kenne den Kotti schon lange, weil ich im Oberstufenzentrum in der Wrangelstraße zur Schule gegangen bin“, erzählt er.

Seit Jahrzehnten gehört der Kotti zu den Problemkiezen. Doch es wurde dort immer gefährlicher. Viele Kreuzberger haben genug von Dealern, Drogisten und Antänzern. Auch Sozialarbeiter Ercan Yasaroglu, der das „Café Kotti“ im NKZ-Wohnriegel über der Adalbertstraße betreibt.

Auf der Balustrade begrüßt er Henkel. „Schön, dass Sie gekommen sind.“

Yasaroglu hat Briefe an die Bezirkspolitiker geschrieben, traf sich mit der Kreuzberger Grünen-Bürgermeisterin Monika Herrmann, im April fand ein Runder Tisch statt. Und er hat sich schriftlich an den Senat gewandt. „Will die Politik hier wirklich einen rechtsfreien Raum“, fragt er. „Die Politik muss die Vorschläge von uns auf Augenhöhe wahrnehmen. Wir müssen gemeinsam Lösungen erarbeiten“, erzählt er. Zu dem Gespräch in dieser Woche kamen außer Henkel Polizeipräsident Klaus Kandt, Michael Krömer, Leiter der örtlichen Direktion 5, der CDU-Kreisvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg, Kurt Wansner, und der Berliner CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann-Brauns dazu.

„Drogen weg vom Kottbusser Tor“

Yasaroglu beginnt zu erzählen. „Als Kottianer kenne ich hier alle.“ Er spreche mit den Dealern, die das „friedliche Zusammenleben nicht stören“ sollten. Nach den Polizeieinsätzen im Görlitzer Park seien die Rauschgifthändler aber nicht einfach weg gewesen, sondern würden sich weiterhin im sozialen Raum rund um den Kotti aufhalten. Yasaroglu organisierte schon 2009 eine Demonstration mit Anwohnern unter dem Motto „Drogen weg vom Kottbusser Tor“.

Aber das größere, gefährlichere Problem sind die Banden. „Alles nordafrikanische Banden“, sagt er und betont, „dass das keine neu angekommenen Flüchtlinge sind“. Er kann sie von der Balustrade aus beobachten, wie sie ahnungslose Passanten umringen, sie ansprechen und ihnen aus den Taschen Telefone, Portemonnaies oder Zigaretten stehlen. „Mit denen zu reden ist sinnlos“, sagt er.

Wenn diese Typen dann einmal verhaftet werden, seien sie nach ein paar Tagen wieder auf der Straße. „So als ob nichts geschehen wäre.“ Vor einigen Monaten war es besonders schlimm am Kotti. Da hatten die Gewerbetreibenden sich telefonisch verständigt, wenn ein Trupp junger Männer unterwegs war. Und Imbiss- und Restaurantbesitzer achteten darauf, dass ihre Gäste nicht bestohlen wurden.

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Innensenator Frank Henkel hat sich in Kreuzberg umgeschaut.

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Yasaroglu vergleicht die Situation mit den Silvester-Übergriffen in Köln. Das weist Henkel aber entschieden zurück. Der Vergleich sei nicht richtig, weil in Köln „staatliche Organe nicht bei den Übergriffen dabei waren“. Die Situation könne nicht mit der rund um den Kotti verglichen werden. „Wir haben am Kotti viel Kraft und Energie investiert und auf die Phänomene wie Antänzer reagiert“, sagt Henkel.

Er spricht von verdeckten und offenen Maßnahmen. Zu den offensichtlichen Neuerungen zählen die Präsenz von zwei Polizeiwagen, die unter der Hochbahn stehen. Auch zwei Kontaktbereichsbeamte sind rund um Adalbert-, Oranien- oder Dresdener Straße unterwegs. Direktionsleiter Krömer betont, dass sich die Beamten mit dem Kiez selbst identifizieren. „Sie sagen mir, das ist unser Kotti, unser Bereich, in dem wir tätig sind.“

Registrierte die Polizei noch im vorigen Jahr rund sieben Einsätze im Monat, sind das laut Innenverwaltung im ersten Halbjahr schon 175 Einsätze mit 14.500 Einsatzkräftestunden gewesen; 2015 waren es rund um den Kotti 5500 Einsatzkräftestunden. Gab es bei den Taschendiebstählen von 2014 auf 2015 eine Verdoppelung, also zwei, drei am Tag, die angezeigt wurden, gehen diese Diebstähle in den letzten Monaten langsam zurück.

80 Raubdelikte zählte die Polizei 2015, ein Plus von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Konkrete Zahlen dafür kann die Polizei für das erste Halbjahr noch nicht nennen.

Konkrete Hilfe für Alkoholkranke und Junkies

Ercan Yasaroglu unterstreicht, dass die Kriminalität spürbar zurückgegangen sei. „Wir brauchen in Kreuzberg ein Wir-Gefühl.“ Er sieht auch die Politik in dieser Verpflichtung. „Anstatt die Schwierigkeiten anzugehen, werden sie hin- und hergeschoben“, schrieb er in seinem Brief an den Senat. Bei dem Gespräch am Mittwoch erläutert er, dass die Drogenabhängigen direkt am Kottbusser keine Hygiene-Räume hätten. „Sie haben keine Toiletten, keinen Sozialraum. Hätten sie Räume, würden sie wieder ein Selbstwertgefühl entwickeln. Und das ist der erste Schritt, um auszusteigen.“ Er fordert konkrete Hilfe für Alkoholkranke und Junkies am Kotti.

Auf die Frage von Henkel, ob es zu wenig Angebote gebe, antwortet Angela Hahn vom Institut für transnationale und transkulturelle Arbeit, das im NKZ seine Räume hat. „Die Angebote sind nicht mehr zeitgemäß“, sagt sie. Projekte müssten über den sozialen Raum rund um den Kotti hinausgehen. Und es bräuchte Geld, um konkret zu erforschen, was die Bewohner am Kotti für Bedürfnisse haben. „Dann können die Ergebnisse umgesetzt werden.“

Vielleicht ist es ein kleiner Schritt, dass die für das NKZ verantwortliche Wohnungsgesellschaft „verantwortungsvoll“ vermietet, wie Kurt Wansner erzählt. Yasaroglu bestätigt, die Zusammenarbeit sei gut. Die Gesellschaft habe auch einen eigenen Wachschutz für das NKZ mit seinen 300 Mietparteien und 90 Ladenlokalen beauftragt. Das reicht aber nicht.

Vertrauen in Staat und Polizei

„Die Bürger hier brauchen Vertrauen in die Politik“, sagt der Sozialarbeiter. Henkel entgegnet, der Staat könne nicht alles lösen. „Wir brauchen so engagierte Bürger wie Herrn Yasaroglu.“ Die Delikte würden zurückgehen. Er bittet, dass die Bürger „Vertrauen in den Staat und in die Arbeit der Polizei haben“. Obwohl die Personalreserven dünn seien, wolle er „mehr Personal aufbauen“, sollte die CDU nach der Wahl wieder in der Regierung sein. Und Direktionsleiter Krömer ergänzt: „Wir wissen, dass wir ein gutes Stück vorangekommen sind. Die Situation ist noch nicht so, wie ich sie mir wünsche.“

Es wird nicht das letzte Gespräch gewesen sein zwischen Politikern und engagierten Anwohnern am Kotti. Yasaroglu hofft, dass die Politiker sich nicht gegenseitig die Verantwortung hin- und herschieben, wie das in der Vergangenheit mehrfach war. Der grün regierte Bezirk machte die CDU-geführte Innenverwaltung verantwortlich und umgekehrt.

Pragmatische Lösungen scheinen nicht teuer, nur „müssen alle Betroffenen zusammenkommen und Lösungen erarbeiten“. Ercan Yasaroglu weiß, dass er nach der Wahl wahrscheinlich neue Ansprechpartner bekommt. „Ich bin Kreuzberger, Berliner, Deutschländer, ein europäischer Bürger. Nur durch Begegnung kann man Freunde werden.“ Davor schreckt er nicht zurück.

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