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Flughafenchef Hartmut Mehdorn.

© Reuters

Chaosbaustelle Flughafen: Am BER misstrauen alle einander

Vom BER nur Horrormeldungen: 1,1 Milliarden Euro mehr braucht Flughafen-Chef Hartmut Mehdorn für das Großprojekt. Jetzt macht der Aufsichtsrat, der nun tagt, Druck.

Der Flughafen ist noch lange nicht fertig, aber wird immer teurer: Die bisher bewilligten 4,3 Milliarden Euro sind Ende des Jahres aufgebraucht, sagt Flughafen-Chef Hartmut Mehdorn. Nach Tagesspiegel-Recherchen liegt der Kostenrahmen bereits bei bis zu 4,6 Milliarden Euro. Nun sind weitere 1,1 Milliarden Euro nötig, wie das "Handelsblatt" unter Berufung auf den Haushaltsausschuss im Bundestag schreibt. Dabei geht es auf der Baustelle nicht voran, und das Verhältnis der dafür Zuständigen untereinander ist gestört.

Die Voraussetzungen dafür, dass irgendwann mal Flugzeuge vom neuen Flughafen BER abheben, sind denkbar schlecht. Bei der Sitzung des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft am heutigen Freitag ist der Druck auf Hartmut Mehdorn groß. Die Gesellschafter, der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg, tragen Verantwortung nicht nur für das Projekt, sondern auch für die Kosten – und damit für die Höhe der Steuergelder, die in das Projekt fließen. Dass jetzt Siemens-Vertreter selbst ihre Sicht auf die Probleme mit der Steuerung der Entrauchungsanlage und der Frischluftzufuhr dem Aufsichtsrat vortragen sollen, kann als Ausdruck des großen Unmuts über den Fortgang der Arbeiten gewertet werden. Vertreter von Baufirmen waren vom Aufsichtsrat aber auch in der Vergangenheit bei Sitzungen angehört worden.

Was bezweckt der Aufsichtsrat mit diesem Vorgehen?

Die drei Eigentümer sind inzwischen äußerst vorsichtig bei Angaben der Flughafengesellschaft, das Vertrauen in den als Macher geholten Mehdorn ist erschüttert. Das liegt auch an Mehdorns Umgang mit internen Kritikern und Mitarbeitern, die ernst zu nehmende Hinweise auf Probleme geben – aber von Mehdorn brüsk abgebügelt, mundtot gemacht und als Bedenkenträger oder Bremser diffamiert werden.

Nach der gescheiterten Eröffnung 2012 war dem Aufsichtsrat der Vorwurf gemacht worden, er habe sich nicht rechtzeitig über die tatsächliche Situation am BER ins Bild gesetzt. Dieser Fehler soll, so ist nun aus dem Aufsichtsrat zu hören, nicht wiederholt werden. Der Brandschutz sei so wichtig und die Aufgabe der Firma Siemens bei dessen Gewährleistung so zentral, dass der Aufsichtsrat die Firma Siemens zum Stand der Dinge einfach hören müsse. Eine derartig komplexe Diskussion über komplexe Abläufe sei ohne Anhörung der direkt Betroffenen nicht zu führen.

Der Aufsichtsrat erwartet zudem endlich belastbare Zahlen zu Kosten und Terminen. Die will Mehdorn aber erst Ende des Jahres liefern. Und die Flughafengesellschaft hat die Siemens-Einladung selbst provoziert: Siemens hat noch nicht einmal alle Unterlagen – und einige waren aus Sicht des Konzerns auch mangelhaft. Dennoch hatte die Flughafengesellschaft bislang felsenfest behauptet, dass die von Siemens genannte 18-Monats-Frist für die noch erforderlichen Arbeiten an der Steuerung der Entrauchungsanlage bereits laufe. Mehdorn sagte: „Siemens arbeitet mit Volldampf.“ Demnach wäre Siemens bis Mitte 2015 fertig. Brandenburgs Flughafenstaatssekretär Rainer Bretschneider äußerte dagegen Zweifel: „Das ist einer der zentralen Streitpunkte, wie genau die Abläufe sind.“

50 bis 60 Mitarbeiter sind nach Tagesspiegel-Informationen derzeit auf der Baustelle. Sobald alle Unterlagen, aufgeteilt in mehrere Bereiche, komplett vorhanden und geprüft sind, soll die Zahl der Mitarbeiter erhöht werden.

Dass die Frist, die nach Angaben von Siemens nicht Bestandteil des Vertrages ist, noch nicht begonnen hat, bestätigen auch andere Aufsichtsratsmitglieder, die sich an der Flughafengesellschaft vorbei informiert haben. Sie sind deshalb alarmiert, der Zeitdruck ist groß: Sollte Siemens nicht bald mit den im Vertrag vereinbarten Arbeiten starten, ist die BER-Eröffnung vor Ablauf der Baugenehmigung für das Terminal im Oktober 2016 gefährdet. Denn nach Abschluss der Arbeiten soll ein halbes Jahr Testbetrieb vor der Inbetriebnahme folgen – die Zeit wird knapp. Schlimmstenfalls müsste eine neue Baugenehmigung beantragt werden – dann unter neuen, verschärften Regeln. Und die Kosten würden weiter steigen.

Ist der aus Technik-Laien besetzte Aufsichtsrat mit solchen Details nicht überfordert?

Es geht dabei zwar auch um technische Details, aber vorrangig wohl um Abläufe, Termine und Absprachen. Zugleich kann der Aufsichtsrat die bisherigen Auskünfte Mehdorns gegenüber dem Kontrollgremium mit den Aussagen von Siemens direkt abgleichen. Weil Mehdorn sich bisher scheut, einen Terminplan zu nennen, dürfte Siemens deutliche Hinweise darauf geben, wie lange es mit der Steuerung der Brandschutzanlage noch dauert. Davon hängt alles Weitere ab. Schon jetzt ist von 1,1 Milliarden Euro die Rede, die Mehdorn zusätzlich zum bestehenden Kostenrahmen von 4,6 Milliarden Euro braucht. Mit weiteren Verzögerungen dürften es deutlich mehr werden. Die kursierende Warnung vor insgesamt 8 Milliarden Euro ist nicht aus der Luft gegriffen. Der Bund rechnet bereits Worst-Case-Szenarien durch.

Wie stark ist das Verhältnis des Aufsichtsrats zu Mehdorn gestört?

Die Vertreter der brandenburgischen Landesregierung machen intern keinen Hehl daraus, dass sie Mehdorns Art für Hauruck-Aktionismus halten. Manche bedauern sogar, der Geschäftsführung bei Personalentscheidungen nicht reinreden zu können. Brandenburg hätte den von Mehdorn geschassten Ex-Technikchef Horst Amann gern gehalten, ebenso der Bund. Während Mehdorn die Öffentlichkeit mit immer neuen Ideen beschäftigt, habe Amann sich auf die Baustelle konzentriert und die Probleme gewissenhaft abarbeiten wollen. Jetzt komme offenbar auch Mehdorn in der Realität an, hieß es.

Mehdorn selbst wiederum ist genervt vom Aufsichtsrat, fühlt sich bevormundet und in seiner Arbeit gebremst. Deshalb will er Wilhelm Haarmann, einen der renommiertesten Steuer- und Gesellschaftsrechtler, der seit einem Jahr Partner in der britischen, weltweit tätigen Kanzlei Linklaters ist, am heutigen Freitag mit in den Aufsichtsrat bringen. Mehdorn und Haarmann kennen sich aus dem Aufsichtsrat des IT–Konzerns SAP. Der Jurist soll den Aufsichtsratsmitgliedern erläutern, welche Rechte das Gremium gegenüber der Geschäftsführung hat. Mehdorn wolle den Aufsichtsrat also zurechtweisen und ihm erklären lassen, was er ihm gegenüber nicht dürfe, heißt es.

Nach Tagesspiegel-Informationen geht es aber auch um die grundsätzliche Rolle des Gremiums, das nach Ansicht von Mehdorn nicht immer zum Wohl der Gesellschaft arbeite, wie es das Gesetz vorschreibe. Für Mehdorn stellen die meisten Politiker im Aufsichtsrat ihre politischen Interessen in den Vordergrund – auch wenn es zu finanziellen Lasten der Flughafengesellschaft geht. Etwa beim Lärmschutz. Auch dies soll Haarmann bei der Sitzung ansprechen. Zudem soll er nach Tagesspiegel-Informationen deutlich machen, dass die Aufsichtsräte auch die Pflicht zur Vertraulichkeit haben. In der Vergangenheit wurden Interna regelmäßig an die Öffentlichkeit gegeben. Stellenweise wurden bestimmte Medien noch während der Sitzung über Ergebnisse informiert.

Ist der Überblick verloren gegangen?

Wie ist das Verhältnis zwischen Mehdorn und Aufsichtsratschef Wowereit?

Wowereit und Mehdorn waren gewiss keine Freunde, als der heutige Flughafenchef noch Vorstandsboss bei der Deutschen Bahn war. Und ob Wowereit Mehdorn überredet hätte, den Flughafenposten zu übernehmen, ist mindestens zweifelhaft. Mehdorn war von Matthias Platzeck (SPD), dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, geholt worden. Inzwischen arbeiten Mehdorn und Wowereit aber zusammen; Beide wollen den BER an den Start bringen. Wowereit soll auch damit einverstanden gewesen sein, dass Mehdorn mit juristischer Hilfe in die Aufsichtsratssitzung geht. Freunde müssen sie ja nicht mehr werden.

Mehdorn hat immer mehr Aufgaben an sich gezogen – was hat er alles zu stemmen?

Tatsächlich hat Mehdorn viele Fachleute aus dem Unternehmen gedrängt, weil sie ihm nicht genehm waren. Statt mit kritischen Mitarbeitern auf der Führungsebene, die genau hinschauen und offen auf Probleme hinweisen, umgibt sich der Geschäftsführer inzwischen mit jungen, gut bezahlten Beratern von Roland Berger. Und die machen auch den Mitarbeitern Druck. Am Ende könnte Mehdorn vor allem an sich selbst scheitern: Weil sein Mantra, der Flughafen sei eigentlich fertig und es fehle nur die Brandschutzanlage, von der Realität eingeholt wird. Und weil er womöglich erkennen muss, dass die Warnungen, von denen er nichts hören wollte, einen handfesten Grund hatten.

Fehlt der Überblick über das Gesamtprojekt?

Da ist der Brief, den der Leiter des Real Estate Managements am BER, Harald Siegle, an drei Aufsichtsratsmitglieder schickte, aufschlussreich: Es fehle eine klare Planung, das Handeln der Geschäftsführung sei von operativem Aktionismus und Beratungsresistenz geprägt. Es fehlten eine zentrale professionelle Terminsteuerung sowie eine „endgültige funktions- und genehmigungsfähige Ausführungsplanung“. Die Entscheidungsfindung beruhe offenbar auf Bauchgefühl und sei sprunghaft. Fehlentscheidungen würden nicht revidiert, sondern als Beleg von Führungsstärke bis zum Ende durchgesetzt. Siegle wurde von Mehdorn gefeuert. Und eine abschließende Kontrollinstanz auf der Baustelle wird es durch die Abwicklung von Siegles Abteilung nicht mehr geben. Die Fehler sollen die jeweiligen Abteilungen und Bereiche nun selbst registrieren – sich also selbst kontrollieren.

Dass der Gesamtüberblick verloren gegangen ist, könnte aber auch von der Politik verursacht worden sein. So ist aus Aufsichtsratskreisen zu hören, die Politik habe nach der Pleite um die abgesagte Eröffnung 2012 möglicherweise die falschen Strukturen am Flughafen zerschlagen. Deshalb sei es zu Problemen zwischen Planung, Ausführung, Organisation und Bauüberwachung gekommen. Deshalb müssten sich nun sowohl der Finanz- als auch der Projektausschuss intensiver als früher einschalten und öfter tagen. Beide Gremien müssten strukturierend eingreifen.

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