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Berlin: Charlott: Vor der Terrasse braust der Verkehr, drinnen dominiert gemütlich französelnder Charme

Bitte lesen Sie diese Restaurantkritik als ein Art Nachruf. Dies wäre Ihr Abendessen gewesen!

Bitte lesen Sie diese Restaurantkritik als ein Art Nachruf. Dies wäre Ihr Abendessen gewesen! Ist nun aber nicht. Ich schildere trotzdem mal, was wir draußen in Falkensee erlebt haben - als Mahnung an zukünftige Restaurantbetreiber, nicht schon nach vier Monaten alles hinzuschmeißen. Wir befinden uns also draußen am westlichen Stadtrand, wo sich in den rauchenden Ruinen gescheiterter Feinschmeckerrestaurants inzwischen Pizzerias und Süß-Sauer-Bratereien niedergelassen haben. Denn alles Gerede über den Speckgürtel hat ja nichts mit gutem Essen zu tun: Wer dort draußen wohnt, interessiert sich entweder nicht für die Küche jenseits der Kohlroulade, oder er isst in Berlin.

Das Falkenseer "Charlott", eröffnet im Mai, war die aktuelle Ausnahme, untergebracht in einer restaurierten Villa. Vor der Terrasse braust der Verkehr, drinnen dominiert der gemütlich französelnde Charme eines gehobenen Bistros, vom Band schnorzt Zarah Leander, und auch die Speisekarte spricht mit uns französisch, wenngleich mit deutschen Untertiteln.

Die Befürchtung, hier werde nun wieder das unsinkbare Repertoire vom Zwiebelkuchen bis zu den Gummischnecken abgefahren, täuschte gründlich - hier kochte einer Freistil, und zwar gekonnt. Dirk Güttes war in Cecilienhof, im Potsdamer "Juliette", und er hat zusammen mit Markus Semmler am Herd gestanden und bringt sowohl Phantasie als auch Handwerk mit. Wenn wir etwas zu bemängeln hatten, dann war es sein etwas übertriebener Hang zu süßlichen Saucen, der bei jedem einzelnen Gericht kein Problem darstellt, insgesamt aber doch irritierte, zumal kaum Weine verfügbar waren, die mit dieser Süße zurecht kämen.

Egal. Wir schwelgten im zarten, mit zitroniger Safranvinaigrette marinierten Lachs, dem ein aromatischer Kräutersalat die Rundung gab, wir freuten uns über das originell mit Granatapfelkernen bestückte Couscous zur gebratenen Wachtel und ließen auch vom Tomatenrisotto zur gebratenen Meeräsche mit Fenchel nichts auf dem Teller zurück. Und sogar die so riskante Kombination von zartem Kaninchenrücken mit einem deftig-würzigen Ochsenschwanzkompott nebst Rosmarinkartoffeln gelang Dirk Güttes bestens, wenn auch die sehr stark reduzierte Sauce ein wenig zu zäh auf dem Teller haftete.

Schließlich reichlich Freude über die gelungenen Desserts, beispielsweise eine sahnig-sanfte Creme brulée mit Tonkabohnen-Aroma und Pflaumenkompott oder eine sicher abgeschmeckte Pfirsichsülze mit - offensichtlich hausgemachtem - Vanillerahmeis. Gebracht wurde all das von einem freundlichen und aufmerksamen Kellner, der nur beim Wein nicht ganz im Bilde war; die schmale, ausschließlich französische Karte nannte keine Erzeuger, und wir wollten nun doch nicht 340 Mark riskieren, um zu überprüfen, ob das ziemlich vernichtende Urteil einiger Experten über den 90er Pichon Comtesse zutrifft. Elsässer Pinot blanc gibt es für 38 Mark, guten Pouilly fumé für 58. (Hauptgerichte von 26 bis 42 Mark, Vorspeisen um 19 Mark.)

Ja, und nun das Ende: ein neues Konzept. Wegen offenbar zu geringer Resonanz in der Nachbarschaft will man deftiger kochen, einfachere Gerichte im elsässischen Stil anbieten. Dagegen wäre nicht einmal viel zu sagen, wenn denn Güttes dafür verantwortlich wäre, was er aber, wie man hört, nicht mehr ist. Ich fürchte, das war es dann auch schon mit dem ehrgeizigen "Charlott". Wenn Sie trotzdem hinfahren, berufen Sie sich lieber nicht auf mich.

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