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Exakt die gleiche Dame. Nur 62 Jahre sind dazwischen. Links der Titel des Buches „Berlin um 1950“ mit Irmtraud Grimm, damals 19 Jahre alt. Rechts läuft sie heute über die Brücke. Als sie sich auf dem Cover entdeckte, war die Überraschung groß.

© Repro / Foto: Verlag Friedenauer Brücke

Charlottenburgerin entdeckt sich auf Buchtitel: „Du liebe Güte, das bin doch ich“

Irmtraud Grimm war ein junges Ding, als sie 1951 über die Brücke am Kaiserdamm lief und fotografiert wurde. Das Bild entdeckte sie nun auf dem Titel eines Fotobandes – und Irmtraud Grimm erinnert sich.

Sie hatte es sich gerade hinter den weißen Gardinen im Erker ihrer Wohnstube im Charlottenburger Danckelmann-Kiez gemütlich gemacht und studierte den Tagesspiegel. Doch plötzlich war Irmtraud Grimm „wie elektrisiert“. Auf der Stadtleben-Seite im Lokalen entdeckte sie ein großes Schwarz-Weiß-Foto aus den frühen 50er Jahren. Das Cover eines vorgestellten Bildbandes mit Fotografien aus der Berliner Nachkriegszeit. Eine junge Frau ist darauf zu sehen. Dynamisch läuft sie über die Kaiserdammbrücke, mit wehendem Rock und engem Pulli. „Ach du liebe Güte, das bin doch ich“, dachte Irmtraud Grimm. Aber gleich darauf war sie unsicher, holte eine Lupe. Kein Zweifel. Sie erblickte sich selbst in jungen Jahren, im Frühsommer 1951. Gerade mal 19 geworden. Damals noch Fräulein Kühl, aber schon verlobt.

Das ist nun schon ein Weilchen her. Bild und Artikel sind Ende März dieses Jahres erschienen. Irmtraud Grimm zögerte erst „herauszuposaunen: Ich lebe noch!“. Aber dann ging alles ganz schnell. Sie hatte ihre Entdeckung ja schon ihrer Cousine und Freunden erzählt. Und alle meinten jedes Mal, wenn sie das Buch in einem Laden ausliegen sahen, da müsse man doch was draus machen. Schließlich rief die Cousine den Buchverlag, die „Edition Friedenauer Brücke“, an. Dessen Inhaber Evelyn Weissberg und Hermann Ebling trafen sich mit Irmtraud Grimm. Und sie lichteten ihr Covergirl, jetzt 62 Jahre älter, genau an derselben Stelle der Brücke ab wie einst der junge aufstrebende Fotograf Ernst Hahn, der mit seiner Rolleiflex das Nachkriegsberlin dokumentierte und sie vor die Linse nahm. Das Ergebnis seiner Streifzüge zeigt heute der Bildband.

Als allererste Zeitung rief Irmtraud Grimm danach gleich den Tagesspiegel an. Denn mit ihrer „Leib- und Magenzeitung“ hat sie eine große Strecke ihres Lebens verbracht. Von 1967 bis 1990 arbeitete sie in der Finanzbuchhaltung des Zeitungsverlages, damals noch am alten Standort an der Potsdamer Straße. Sogar das vordere in den 70er Jahren gebaute Bürogebäude stand anfangs noch nicht, erinnert sie sich. Ihr Büro war im Altbau am Hof. „Am Monatsende brachten uns Männer immer 100 000 DM in bar, die wurden cash in Lohntüten an Mitarbeiter ausgezahlt.“ Und den einstigen Verleger des Tagesspiegels, Franz Karl Maier, sieht sie noch vor sich. „Der sagte uns immer ganz höflich im Flur Guten Tag.“

Wohin wollten Sie, Frau Grimm, als Sie 1951 so eilig über die Brücke schritten? Und welche Farben hatten Ihre Kleider? Man sieht ja nur das Schwarz-Weiß-Bild. Also. Das ist ihr alles noch recht gut in Erinnerung. Sie trug naturlederne Schuhe, der Rock war himmelblau mit weißen Blümchen, und der Pulli hatte weiße Bändchen. Damals sei ihr Haar kastanienbraun gewesen, erzählt die noch immer recht schlanke 81-Jährige und streicht sich ein bisschen aufgeregt über die Haare, die heute etwas strenger gefasst sind. Damals war sie auf dem Weg zu ihrem Friseur, dem Salon Gerlach am Kaiserdamm, als sie sah, dass sie ein junger Kerl knipste. „Ob das wohl in der Zeitung erscheint?“, dachte sie noch.

Den Salon Gerlach gibt es bis heute am selben Platz, es ist weiter ihr „Traditionsfriseur“. Der Blick von der Kaiserdammbrücke nach unten aber hat sich geändert. Damals fuhren nur Züge über die Schienen. Heute rauscht daneben die Stadtautobahn. Irmtraud Grimm ist ihrem Charlottenburger Kiez treu geblieben. Ihr Vater hatte in der Nähe der Schlossstraße ein Installationsgeschäft, dort machte sie eine Lehre als Buchhalterin und arbeitete danach im Büro des Betriebes bis zum Sprung in den Tagesspiegel. Heute wohnt sie im Horstweg in einem Mietshaus von 1909. Lange Zeit hat sie dort mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann zusammengelebt.

Das Buch „Berlin um 1950“ hat sich Irmtraud Grimm längst gekauft. Im „Buch&Kunst“-Laden neben ihrem Friseur am Kaiserdamm. Auch so ein Traditionsgeschäft: „Das gab es bereits 1951.“

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