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Checkpoint Charlie: Mauermahnmal abgerissen

Wie viel Erinnerung an die Berliner Mauer verträgt die Hauptstadt, und wie viel Gefühl?

Berlin (05.07.2005, 12:58 Uhr) - Das übermannsgroße Kreuz steht für Dr. Erwin Neumann. Er ist 55 Jahre alt geworden. Sein Leben endete am 3. Juli 1967 bei einem Fluchtversuch an der innerdeutschen Grenze. Neumanns Kreuz ist das erste, das Bauarbeiter am Dienstag am einstigen alliierten Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin behutsam aus der Verankerung im Boden schrauben und wegtragen. «Schande! Schande!» tönt es von der anderen Seite der Friedrichstraße herüber. Mit viel Wut im Bauch harren dort seit den frühen Morgenstunden frühere Opfer der SED-Diktatur aus. Der einsetzende heftige Regen macht die Stimmung nicht besser. Verbitterung ist zu spüren.

Nach Neumanns Kreuz müssen die Bauarbeiter beiderseits der Friedrichstraße noch 1064 weitere abbauen, um den Auftrag eines Gerichtsvollziehers und damit den Räumungstitel einer Bank zu vollstrecken. Jedes Kreuz steht für einen weiteren Toten an der Mauer, die von 1961 bis 1989 Berlin teilte. Die unter Polizeischutz arbeitenden Monteure müssen sich hässliche Worte anhören. «Stasi! Stasi!» schallt es immer wieder. Und «Schämt euch!»

«Die Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953» werden sich im Grabe umdrehen», sagt ein Berliner CDU-Mitglied. Es hat sich gemeinsam mit anderen Parteifreunden wie etwa dem Generalsekretär der Berliner CDU, Frank Henkel, zu den erzürnten DDR-Dissidenten gesellt. Mehrere Männer, die lange Jahre als politische Häftlinge in DDR- Gefängnissen eingekerkert waren, rasseln mit den Ketten, mit denen sie sich aus Protest an Kreuze gekettet haben. Sie befürchten, dass mit den Mauerkreuzen auch ihre Lebensleistung «entsorgt» wird.

Schon wieder ertönen «Pfui»-Rufe. Diesmal hebt ein Kran ein Stück der Mauer in die Höhe, die Mahnmal-Initiatorin Alexandra Hildebrandt im vergangenen Herbst zusammen mit den Kreuzen am Checkpoint aufstellen ließ. TV-Teams aus mehreren Ländern filmen das Spektakel. Wieder einmal werden von diesem Ort, an dem sich 1961 sowjetische und US-Panzer schussbereit gegenüberstanden, Bilder um die Welt gehen - irritierende Bilder. Der Leiter der Gedenkstätte im berüchtigten früheren Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, schüttelt den Kopf: «Es ist ein Schauspiel, das das Versagen der Politik zum Ausdruck bringt.»

Wie viel Erinnerung an die Berliner Mauer verträgt die Hauptstadt, und wie viel Gefühl? Diese Frage entzweit die Berliner Politik eigentlich erst so richtig, seitdem Hildebrandt auf die Idee kam, ein «Freiheitsmahnmal» auf gepachtetem Grund und Boden am Checkpoint Charlie aufstellen zu lassen. Eine dauerhafte Einrichtung konnte es nicht werden, allein schon weil die Pachtverträge gekündigt wurden. Die Eigentümer haben anderes mit dem Gelände vor. Doch das Problem ist geblieben: Wo können Hunderttausende Berlin-Besucher noch etwas von der einstigen Teilung der Stadt erspüren?

Auch Hildebrandts Kritiker halten ihr zugute, den Finger in eine offene Wunde, ja in eine Leerstelle gelegt zu haben. Zwar gibt es in der Bernauer Straße eine offizielle Mauer-Gedenkstätte. Doch dieser Ort liegt abseits aller touristischen Pfade durch Berlin. Deshalb fahren die meisten Stadtbesucher zum berühmten Checkpoint Charlie, wo es auch noch ein Mauermuseum gibt. Leiterin ist Hildebrandt - die aus der Ukraine stammende Ehefrau des verstorbenen Museumsgründers Rainer Hildebrandt versteht sich auf Emotionen: Nur das Pergamonmuseum hat in Berlin noch mehr Besucher als das Mauermuseum.

Dass etwas fehlt in der Mitte Berlins, hat mittlerweile auch der Deutsche Bundestag erkannt. Auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause beschloss das Parlament einstimmig, am Brandenburger Tor einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Ob damit auch Uwe Reschke zufrieden ist, der sich am Checkpoint Charlie angekettet hat und vor seiner Entlassung 1989 sechs Jahre in DDR-Gefängnissen zubrachte? «Hier wäre es besser», sagt der 58-Jährige. Er steht am Dienstag stundenlang im Regen. Dann lässt er die Kette Kette sein und geht.

(Von Harald Rohde, dpa)

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