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Berlin: Chef werden – mit weniger Risiko

43000 Menschen haben mit Franchising eine Firma gegründet. Kritiker warnen vor Selbstausbeutung

Brigitte Lindner mochte gar nicht daran denken: Ein Chef, der ihr auf der Nase rumtanzen könnte. Die diplomierte Pädagogin wollte lieber selbstständig arbeiten und entscheiden, auch mal auf die Nase fallen, immer aber verantwortlich für sich und ihre Mitarbeiter sein. Alleine. Zwar hat sich Letzteres nicht ganz erfüllt; als Franchise-Nehmerin ist sie jedoch selbstständige Unternehmerin – wenn auch mit festen Regeln. Lindner betreibt schon seit über drei Jahren eine von sieben Berliner „Instituten für Lerntherapie“, einem Franchisesystem von Duden Paetec. Sie und ihre Therapeuten auf Honorarbasis helfen Kindern mit Rechtschreib- oder Rechenschwäche auf die Sprünge. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Franchisesystem“, sagt Lindner. Am Anfang hatte sie nur eine Mitarbeiterin, heute sind es 18.

Die Franchise-Wirtschaft wächst unaufhaltsam. Im vergangenen Jahr waren dem Deutschen-Franchise-Verband (DFV) zufolge 830 Franchise-Geber – also Unternehmen, die Filialen an Franchise-Nehmer abgeben – auf dem deutschen Markt tätig. Im Jahr zuvor waren es nur 760. Die Franchise-Nehmer, zurzeit rund 43000 in Deutschland, erwirtschafteten mit ihren rund 390000 Beschäftigten einen Umsatz von 25 Milliarden Euro. Berlin indes ist in dieser Erfolgsbilanz noch ausbaufähig: Nur 30 bis 50 Franchise-Geber sind nach DFV-Angaben bislang in der Hauptstadt tätig.

Dabei ist das Prinzip „Franchising“ denkbar einfach: Der Franchise-Geber gibt seinen Namen her, schult die Franchise-Nehmer, richtet das Ladenlokal ein, bietet auf Grund der Größe des Unternehmens gute Einkaufspreise und berät, wenn es mal eng werden sollte. Die Gegenleistung: Die Franchise-Nehmer sind motiviert wie selbstständige Unternehmer, arbeiten mehr als 50 Stunden die Woche, lästige Tarifverhandlungen und Sozialstandards entfallen und die Kosten werden gedrückt. Zudem ist die Muttergesellschaft am Umsatz beteiligt und kassiert eine Startgebühr. Auch der Franchise-Nehmer hat Vorteile: Er braucht keine zündende Geschäftsidee und kann auf Hilfe hoffen, wenn die Zahlen ins Rote rutschen. Der Branchenverband DFV geht für das vergangene Jahr von 30000 bis 35000 neuen Stellen aus, die durch Franchise-Neugründungen geschaffen wurden.

Was bei Neugründungen zu Jobs führen könne, gestalte sich bei Umstrukturierungen bestehender Unternehmen eher „problematisch“, sagt Erika Ritter vom Fachbereich Handel der Gewerkschaft Verdi Berlin-Brandenburg. Ihr Vorwurf: Gerade im Handel versuchten die großen Anbieter – Edeka, Rewe, Extra und Spar – unrentablere Filialen an Franchise-Nehmer abzudrücken, um die Kosten für die Beschäftigten loszuwerden. Und: „Franchising ist teilweise Selbstausbeutung“, sagt Ritter. Wochenarbeitszeiten von 50 und mehr Stunden sind Alltag. Von einem Jobwunder möchte Ritter deshalb nichts wissen: „So werden Stellen allenfalls eingespart.“

Eduard Vigodski macht aus diesem Kostenvorteil durch Franchising keinen Hehl. Sein Berliner Unternehmen JalouCity bietet Systemlösungen für Licht- und Sonnenblenden an. Mittlerweile bringt er es auf 30 Filialen deutschlandweit, von denen 18 per Franchising betrieben werden. „Für mich ist entscheidend, dass die Franchise-Nehmer voll motiviert sind“, sagt Vigodski, der JalouCity vor 15 Jahren gemeinsam mit einem Kompagnon gegründet hat. Außerdem sei das Franchising ein gutes Konzept, um zu expandieren. Wie das geht, hat seinerzeit Ray Kroc der Welt gezeigt. Der Gründer von Mc Donald’s bot sein fertiges Restaurantdesign und professionelle Werbung als Erster an; und begründete damit seinen Aufstieg zum ungekrönten Burger-König. Mittlerweile hat die Fastfoodkette in Deutschland rund 1300 Filialen im Franchisesystem und gehört mit 1800 Beschäftigten allein in Berlin zu den größten Arbeitgebern.

Dafür, dass die Burger weggehen wie warme Semmeln, müssen die Franchise-Nehmer bei Mac Donald’s allerdings einiges in Kauf nehmen. Ob Arbeitskleidung oder das berühmte Maskottchen „Ronald Mc Donald“ – der Mutterkonzern erlässt strenge Vorgaben, wie das Burger-Restaurant mit dem gelben „M“ auszusehen hat. Franchise-Geber wie das Lerninstitut von Duden Paetec oder JalouCity lassen die Zügel dagegen eher locker. Hauptsache, jeder erkennt auf den ersten Blick die Verbindung zur Muttergesellschaft.

Martin Benninghoff

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