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Berlin: Christa Habrich (Geb. 1937)

„Ein Droschkenkutscher ist unter meinem Niveau“

Die Reise war schon gebucht, eine Woche Nordlandfahrt mit der MS Astor. Im Jahr 2005 war das. Eine Freundin hatte ihr die Reise geschenkt, aber Christa kam nicht zum Bahnhof.

Als ihr bester Freund die Wohnung aufschloss, stand die Reisetasche da, und Christa war nicht zu finden. Keiner wusste etwas. Bis er die Zeitungsfrau fragte, die hatte beobachtet, wie sie ins Krankenhaus gebracht worden war. Gehirnblutung. Als er ans Krankenbett trat, da war sie noch sie selbst, auch wenn sie ihn zum Abschied siezte. „Schalt ab“, war das Erste, was sie zu ihm sagte.

Sie wurde operiert, war aber eine andere danach. Ein Pflegefall. Ausgerechnet sie, die Quicklebendige mit den vielen Namen, den vielen Geschichten: Christa, Luise, Sara, Raffaela, Elena, Mädchenname Koziol.

Ihr Vater hatte eine Fabrik besessen, die arisiert wurde. Er kam im KZ um. Die Mutter überlebte in Berlin, die Tochter hatten sie in der Schweiz zu Verwandten gegeben. Als Christa wiederkam, sollte sie als Rundfunktechnikerin dem Staat und der Partei dienen. Nur war es nicht ihre Sache, den Mund zu halten. Sie ging in den Westen, kam zurück, als sie erfuhr, dass ihre Mutter erkrankt war, und wurde fast ein Jahr inhaftiert. Sie verlor ihre Zähne, und ein wenig den Glauben an die Menschen. Ein Onkel hatte sie in die Falle gelockt.

Sie ging erneut nach drüben, heiratete, ließ sich scheiden, heiratete noch einmal – denselben Mann. Er war Trinker, sie hatte ihm eine Chance geben wollen, aber er kam nicht von der Flasche los. Das machte die guten Tage ein wenig vergessen. Sie waren viel auf Reisen, immer mit dem Schiff, immer in der Winterzeit, wenn andere froren, kreuzten sie im Mittelmeer. Sie mochte es gern sonnig und gern aufregend.

In den siebziger Jahren gab sie ein kurzes Gastspiel in Afrika. Sie hatte sich in einen Kenianer verliebt, zog zu ihm und verließ ihn wieder. Ein „Virus unbekannter Genese“ blieb ihr als Erinnerung. Ihr Nervensystem litt, nicht aber ihr Lebenswille.

Als Entschädigung für die Enteignung ihres Vaters bekam sie 300 000 DM, die sie gut für ihr neues Leben als Zweitfrau gebrauchen konnte. Sie hatte sich in einen Taxifahrer verliebt, dessen schnoddrige Art ihr Herz in Wallung brachte. Eine Zeit lang war sie sein einziger Fahrgast. Viele Jahre kam er stundenweise zu Besuch, immer hatte sie zuvor artig das Bett frisch bezogen. Immer ging er wieder zurück zur Ehefrau. Sie hat darunter nicht gelitten, im Gegenteil. Als sie in eine Talkshow eingeladen wurde, um über ihr Leben als Geliebte zu sprechen, bilanzierte sie stolz: „Dreckwäsche und schlechte Laune überließ ich seiner Frau.“

Nach 14 Jahren war ihr Geld alle. Als er ihr einen Heiratsantrag machte, ließ sie ihn kalt abblitzen: „Ein Droschkenkutscher ist unter meinem Niveau.“

Den Sex mit ihm mochte sie allerdings, das hat sie immer wieder durchblicken lassen. Sie wurde nicht prüde im Alter. Oder bescheidener. Auch nicht leiser. In der Aidshilfe kümmerte sie sich um Kranke und Sterbende. Und wenn es ans Demonstrieren ging, nahm sie auch mal ein Pappklo in die Hand, um auf die Wohnungsnot der Patienten aufmerksam zu machen.

Sie mochte wenige Menschen, denen sie treu war, und von denen sie Treue erwartete. Vorsicht war aber immer geboten. Wer ihr zu schnell den Rücken zuwandte, riskierte spitze Bemerkungen: „Wie die das geschafft hat, 45 Jahre ohne Gehirn zu leben.“ Sie trat anderen auf die Füße. Das hielt lebendig. Der Elefant war ihr Lieblingstier, und so benahm sie sich auch zuweilen. Wenn ihr daheim die Decke auf den Kopf fiel, ging sie rüber zu Kaiser’s, schnappte sich einen Wagen und fuhr Wildfremden in die Hacken, einfach nur um sich streiten zu können.

Im Pflegeheim war sie bei manchen gefürchtet. „Was sind die hier alle doof. Ich bin die einzig Normale.“ Die Einzige, die für Stimmung sorgte. Dafür liebten sie viele. „Was guckst’n so. Soll ick mal rüberkommen?“

Und sie hatte ihre Träume, bis zuletzt. „Ich war bei Karstadt.“ – „Wie das denn“, fragte der Freund erstaunt. „Na mit dem Schiff.“

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