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Berlin: Christian Stelzl (Geb. 1973)

Neun Monate vor dem Ende traf er die Liebe seines Lebens.

DLRG – den lass ruhig gluckern.“ Abkürzungen, und was sie wirklich bedeuten, dafür hatte er ein Faible, und für die Hofnarren im Netz, die „Zentrale Intelligenzagentur“, und für alles, was Staunen macht oder Lachen, oder am besten beides in einem wie zum Beispiel Prominente im Biotop des Alltags. Heike Makatsch observierte er als „cologneobserver“, nicht huldigend, eher belustigt, einer der „höflichen Paparazzi“, der weiß, was er denen, die das Leben vorleben, verdankt. „ferne tage, in welchen ich ALLE helge schneider filme textlich auswendig beherrschte und mit meinem damals ebenso beschlagenen besten freund praktisch nur in zitaten kommunizierte. das war sooo lustig …“

Es war also nicht ganz abwegig, dass Kris Stelzl in der Boulevardredaktion eines Privatsenders landete – nachdem er zuvor ein Dutzend Jobs durchprobiert hatte. In der Kneipe hat er gejobbt, als Statist geglänzt, seinen Auftritt im Callcenter für die Zeitung glossiert, Webdesigns entworfen. Bis er in seiner Redaktion heimisch wurde.

„personalpolitik“, frotzelte er, „ist die kunst, mitarbeiter so schnell über den tisch zu ziehen, dass sie die reibungshitze als nestwärme empfinden.“

Er arbeitete als Rechercheur und war der Beliebteste in der Redaktion. Erstens sah er verdammt gut aus, und zweitens: Er blieb das Kind, das er war, offen, herzlich, ohne jede Spur von Zynismus.

Selbst als die Redaktion aufgelöst wurde, spendeten die Kollegen dennoch weiter, um seinen durch die Krankheit entstanden Verdienstausfall auszugleichen.

Es war eine Krankheit, die meist nur Kinder und Jugendliche heimsucht, ein seltener Knochenkrebs. Die Ärzte rätselten zunächst, aber, Glück im Unglück, der Ambulanzenstreik zwang zu einer stationären Aufnahme, und so wurde er gründlich untersucht. Mit tödlichem Befund. Das war am 6. Februar 2006. 14 Chemotherapien stand er durch. Und anfangs war Hoffnung: Der Tumor ging zurück, war fast nicht mehr zu sehen auf den Bildern, die Metastasen im Beckenbereich, die Löcher gefressen hatten im Knochen, bildeten sich zurück. Aber heilbar war dieser Krebs nicht.

Was ihm half? Er fotografierte Pflanzen, Insekten, kleine Dinge, die seinen Gottesglauben stärkten durch ihre Schönheit. Er betete mit seiner Mutter – „Mutti ich bin nicht bitter“ –, die ihm zuliebe im Hospiz zu arbeiten begonnen hatte, um etwas über das Sterben zu erfahren, und um anderen zu helfen, denen zu helfen war. Er hat mit ihr gebetet, das „Vaterunser“, den 23. Psalm, „Der Herr ist mein Hirte“.

Er hat ans Leben geglaubt, zu Recht, denn neun Monate vor dem Ende traf er die Liebe seines Lebens. Da hatte er schon keine Haare mehr, keine Wimpern, keine Augenbrauen, keine Hoffnung, dass sie mit ihm im Gespräch bleiben wollte. Aber sie wollte.

Sie verlobten sich, sie fuhren nach Venedig, sie reisten an die Orte seiner Kindheit, Aschersleben, das alte Haus, Schweinebär, so hieß der Vermieter.

Er war ein Wunschkind gewesen, innig geliebt schon im Mutterleib. Er war der Schatz seines Vaters, mit dem er in der nahe gelegenen Grube badete, unterm Sternenhimmel zeltete, und mit dem er brach, als der Vater dem Suff verfiel und die Mutter bedrohte. „Geh weg“, riet er ihr, und sie ging.

Nach der Krebsdiagnose hörte Kris mit dem Rauchen auf, aber Pizza und Kuchen gab er nicht auf. Im Krankenzimmer hatte er eigene Bettwäsche mit Blumen und eine Seerose aus Stoff, weil sonst keine Blumen erlaubt waren.

Als er noch über Land fahren konnte, suchte er sich ein baufälliges Haus aus und ein Grundstück, das er begrünen wollte. Unter seinen Sachen fand sich eine Zeichnung, sie, seine große Liebe, er selbst, und ein Kind, das Ball spielt. Das hat er sich und seinen Schwiegereltern gewünscht: „Ich war noch nie verheiratet“, so stellte er sich vor, „habe keine Kinder, aber ich habe Krebs.“

„Und“, fügte er hinzu, „ich bin der glücklichste Mann der Welt.“ Gregor Eisenhauer

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