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Christine Bergmann: Ohne Pathos ganz nach oben

Als Ostdeutsche in die Politik zu gehen, bedeutete nach der Wende nicht unbedingt Existenzsicherung. Christine Bergmann wagte es und machte im vereinten Berlin Karriere wie keine Zweite.

Sie hat einfach mitgemacht. Demokratie war für Christine Bergmann die Chance, politisch zu handeln: diskutieren, entscheiden, Aufgaben übernehmen. Erst in der neu gegründeten SDP, dann in der Stadtverordnetenversammlung von Ost-Berlin, dann im Abgeordnetenhaus, im Berliner Senat, in der ersten rot-grünen Bundesregierung. Demokratie ist Teilhabe, so lautet ihr Credo seit dem Untergang der DDR. Wenn Leute sagten, man könne in der Politik nichts verändern, frage sie: Was hast Du denn versucht? Das sagt die Frau aus dem Osten, der man noch immer ihre Dresdener Herkunft anhört und die im vereinten Berlin politisch Karriere gemacht hat wie keine Zweite. Christine Bergmann ist die personifizierte Werbung für die Demokratie.

Was nicht heißt, dass sie auf die hinabsieht, die damals mit am Untergang des Staates DDR gearbeitet haben, doch mit dem bundesrepublikanischen Politik-Betriebssystem nie ganz vertraut geworden sind – die Bürgerrechtler und Daueroppositionellen. Ein Grund dafür, dass so wenige Ostdeutsche überhaupt in der Politik Karriere gemacht haben, bestand ganz einfach in den Lebensnotwendigkeiten: „In die Politik zu gehen, war nicht unbedingt eine Existenzsicherung“, sagt sie heute. Wer es dennoch tat, der ging „ein hohes persönliches Risiko“ ein.

Bergmann war damals im „Institut für Arzneimittelwesen der DDR“ beschäftigt. Eines Nachmittags habe sie das Institut verlassen, um zu einem Politik-Termin zu gehen – und es nie wieder betreten. Die Politik forderte plötzlich die ganze Frau. Von jetzt auf gleich wurde sie Parlamentspräsidentin der Stadtverordnetenversammlung. Klar, man habe sich damals Rückkehrrechte zusichern lassen können, sagt sie – aber oft gab es dann nichts mehr, wohin man hätte zurückkehren können.

Wer, wie Bergmann, die „Abwicklung“ von Betrieben, Instituten, Arbeitsplätzen miterlebt hat als Frau aus dem Osten, Gegnerin des SED-Regimes und Arbeitssenatorin des Senats, der hat für radikale Politik nichts übrig. Da ist die Sozialdemokratin ganz staatsnah. Noch immer ist sie stolz darauf, dass es dem Senat gelungen sei, „Menschen aufzufangen“, die vor dem Nichts standen – etwa Beschäftigte in den wissenschaftlichen Instituten in Adlershof, die durch Beschäftigungsgesellschaften neue Perspektiven bekamen. Es sei gelungen, „die Stadt zusammenzuhalten“, sagt Bergmann heute. Dazu habe auch die Senatsentscheidung gehört, die Tarife der Ost-Berliner Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes an die West-Tarife anzugleichen. Das ist Politik, wie Bergmann sie erlebt und gemacht hat: pathosfrei, pragmatisch, uneitel. Und genauso ist Bergmanns Politikverständnis. Man macht eine Revolution und stellt fest, dass viele kleine Schritte zu gehen und Entscheidungen zu treffen sind.

Bei ihr hat alles gepasst: 1989 war sie 50 Jahre alt, die Kinder waren erwachsen, in der Gethsemanekirche hatte sie Menschen gefunden, die wie sie den Staat DDR satt hatten – und dann, im Herbst 1989, das Gefühl: „Wenn wir es jetzt nicht packen, dann sind wir selber schuld.“ Die Erfahrungen dieses revolutionären Herbstes waren unwiederholbar. Nie wieder, sagt Bergmann, habe sie erlebt, „dass so viele Menschen so fröhlich waren“, dass man „ein Gefühl der Befreiung“ miteinander teilte und sich traute, bei den großen Demonstrationen die unauffälligen Männer von der Stasi auszulachen. Das „Loswerden der Angst“ sei für sie das stärkste Gefühl in diesem Herbst gewesen, der Eindruck: „Jetzt kannst Du etwas bewegen!“ Das Gefühl ist ihr nie ganz verloren gegangen. Deshalb ist der 9. November für Christine Bergmann ein Feiertag.

 Werner van Bebber

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