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Berlin: Christoph Hering - heute fährt der Ex-Bürgerrechtler Taxi

Christoph Herings Küche sieht aus, als hätte er sie in den letzten Jahren kaum verändert. Ein rustikaler Schrank steht an der Wand.

Christoph Herings Küche sieht aus, als hätte er sie in den letzten Jahren kaum verändert. Ein rustikaler Schrank steht an der Wand. Über dem Esstisch baumelt ein Adventsstern. Durchs Fenster der Erdgeschosswohnung guckt man auf einen gammeligen Hinterhof. Hering lebte schon zu DDR-Zeiten hier. Damals legte er sich mit der Staatsmacht an. Während der Wende war er zeitweise Bezirkssprecher des Neuen Forums in Gera. Jetzt ist der 31-Jährige Taxifahrer.

Hering hat auf dem gemütlichen Tisch seine Stasiakte ausgebreitet. Dazu gehören Belege über diverse "Zuführungen", wie Verhaftungen im DDR-Deutsch hießen. Schon 1982, als 14-Jähriger, wurde der Pastorensohn wegen eines "Schwerter-zu-Pflugscharen"-Aufnähers in Ost-Berlin aufgegriffen. Nachdem ihn die Polizei anderthalb Stunden verhört hatte, zog er die Jacke schließlich aus. "Ich wollte ja nicht verprügelt werden." Das "Schwerter-zu-Pflugscharen"-Symbol war damals in der christlichen Friedensbewegung populär. Im Gegensatz zur DDR-Führung, die vehement vom Westen Abrüstung forderte, setzten sich viele kirchlich gebundene Menschen für die zeitgleiche Deeskalation auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein.

Vier Jahre später mischte sich Christoph Hering mit ein paar Freunden und einem selbst gemalten Transparent in den 1.-Mai-Zug. Auf ihrem Stoffband stand: "Wir haben genug vom Rüstungsschwachsinn." "Wir dachten, wir probieren das mal", erinnert er sich. Schließlich wollte ja die DDR ein Europa mit weniger Waffen. Und in diesem Sinn ähnelte das selbst gemalte Transparent den offiziellen 1.-Mai-Losungen.

Die brav demonstrierenden Werktätigen rückten von Hering und seinen Freunden ab. "Manche haben uns sogar nahe gelegt, woanders hin zu gehen", sagt er. "Die wollten nicht mit uns identifiziert werden." Was dann geschah, zeigt aber, dass sich das Wagnis lohnte. Zunächst kamen zwar Sicherheitskräfte in Zivil und führten die Fremd-Demonstranten ab. Doch dann, nach einigem Hickhack "und einem Telefonat mit irgend einem Hohen", durften sie an der Tribüne vorbei laufen. Offensichtlich hatte ihr Argument gewirkt, das Transparent entspräche doch den Abrüstungsbemühungen der DDR. Hering und seine Freunde wurden links und rechts von Stasi-Männern flankiert. Die sorgten dafür, dass sie nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder aus dem Zug gezerrt würden. Die Staatsmacht gab den Pazifisten also individuellen Geleitschutz. "Die waren sich der absurden Situation bewusst."

Ins Gefängnis musste er dafür nicht. Doch sein Weg verlief kaum nach dem üblichen DDR-Schema: Wehrdienstverweigerung, Ausbildung an einem kircheneigenen Seminar in Thüringen. "Ich bin ja nicht staatskonform erzogen worden", sagt Hering. Martin Luther King und Gandhi habe er gelesen, sich für gewaltlosen Widerstand interessiert. 1986 fragte der 18-Jährige beim Innenministerium nach, wie das denn mit amnesty international sei. Ob diese Organisation in der DDR verboten sei, und wenn ja: Warum? Ihm sei schon klar gewesen, sagt Hering, dass es damals kaum möglich gewesen wäre, in der DDR eine ai-Sektion zu gründen. Er habe nur die Grenzen austesten wollen und war auf eine Antwort gespannt. Christoph Hering wurde zum Ministerium zitiert und erhielt eine pathetische Erklärung. Mit dem Strafvollzug sei in der DDR alles in Ordnung, politische Gefangene gebe es überhaupt nicht. Und überhaupt stünde mit den Menschenrechten alles zum Besten in der DDR.

Im Frühjahr 1990 gehörte Christoph Hering zu den Gründern der DDR-Sektion von ai. Doch einige seiner Mitstreiter belasteten ihn mit Stasi-Vorwürfen. Er sei ein Spitzel gewesen, hieß es. Erst durch die Vorlage seiner Akte, sagt Hering, habe er diese Unterstellung endgültig widerlegen können. Aus den Unterlagen gehe deutlich hervor, dass er kein Inoffizieller Mitarbeiter gewesen ist.

Die Utopien der Wendezeit sind nun in weite Ferne gerückt. Auch die Ostdeutschen, die sich damals in Bürgerrechtsgruppen für Meinungsfreiheit und Umweltschutz einsetzten, sind zur Tagesordnung übergegangen. "Die Leute in der ehemaligen DDR haben völlig vergessen, dass sie die Wende den Bürgerrechtlern zu verdanken haben", sagt Christoph Hering. "Wenn die Umstände ähnlich wären wie damals, würden sich die Menschen wieder so verhalten: sich anpassen und wenig Zivilcourage zeigen."

Er selbst hat seine Theologie-Ausbildung abgebrochen, sich zwischenzeitlich erfolglos mit einem Dritte-Welt-Laden selbstständig gemacht. Jetzt wirkt er so, als habe er die alten Konflikte hinter sich gelassen. Verbittert oder wütend sei er keinesfalls, betont er. Statt wie früher Staatsdemonstrationen aufzumischen, kümmert sich Christoph Hering um seinen Sohn. Dafür sei der Taxi-Job gut, da zeitlich sehr flexibel. Ist er enttäuscht über die Bundesrepublik? "Die demokratischen Freiheiten sind schon gewährleistet", sagt er. "Aber für den Außenhandel sind Wirtschaftsinteressen wichtiger als Menschenrechtsfragen." Dann beklagt er noch die Kürzung von Sozialleistungen. Die Bundesrepublik sei eben nicht das letztlich anzustrebende System. Nein, eine fertige Alternative habe er nicht in der Tasche. Ebenso wenig wie zu DDR-Zeiten. "Und ich will auf keinen Fall, dass mich jemand für einen PDS-Anhänger hält."

Josefine Janert

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