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Berlin: Cocktail für den Kommissär

Für Heinz Rühmann bedeutete „Es geschah am hellichten Tag“ einen Imagewechsel. Zum Glück hatte er seinen Berliner Hausautoren

So könnte die Mordgeschichte natürlich auch enden: Dem Kommissär kommen plötzlich Bedenken. Ein Mädchen als Lockvogel für einen Mörder? Lieber eine Puppe. „Gewaltig und feierlich käme dann der Mörder aus dem Walde auf das vermeintliche Kind zugeschritten, in der Abendsonne, Annemaries Zauberer, voll Lust, endlich wieder einmal mit dem Rasiermesser hantieren zu können; die Erkenntnis, dass er in eine teuflische Falle geraten, brächte ihn zur Raserei, zum Wahnsinnsausbruch, Kampf mit Matthäi und Polizei und dann vielleicht am Schluss (…) ein ergreifendes Gespräch des verletzten Kommissärs mit dem Kinde…“

Krimifreunde, die im August 1958 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ oder wenig später in Buchform Friedrich Dürrenmatts Roman „Das Versprechen“ lasen, dürfte die Lektüre irritiert haben. Genau diesen rührenden Schluss hatten sie gerade erst im Kino gesehen, in dem Reißer „Es geschah am hellichten Tag“, der es sogar ins Programm der Berlinale geschafft hatte. Ein toller Streifen, das fanden alle, mit Heinz Rühmann als Kommissär Matthäi, Michel Simon als vermeintlichem und Gert Fröbe als tatsächlichem Mörder. Warum trieb Dürrenmatt mit der Kinoversion der Geschichte seinen Scherz, indem er sie im Roman nur spöttisch zitierte, den genialen Kommissär aber an einem blöden Zufall scheitern ließ? Auch wer Dürrenmatt, Rühmann und Simon am 4. Juli 1958 bei der Premiere im Zoo-Palast erlebt hatte, konnte sich auf die Verulkung des Films keinen Reim machen. Nach der Vorstellung war ins Haus der Kaufleute in der Fasanenstraße eingeladen worden, zum „Gespräch bei einem Cocktail“, wie es in der Einladung hieß. Die drei Stargäste hatten sich blendend verstanden.

Allerdings, noch während der Dreharbeiten hatte sich Dürrenmatt gegenüber der Zeitung „La Tribune de Genève“ von dem Projekt distanziert. Der Film werde sicher erfolgreich sein, sei aber wahrlich nicht von ihm – weder Dialoge noch Konzeption. Nicht mal den Titel mochte er.

„Schweizer Filme müssen gleichsam ,Kosmopoliten’ sein, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können“ – so lautete das Credo von Lazar Wechsler, Chef der Züricher Produktionsfirma Präsens-Film, der sich mit dem Dramatiker Mitte 1957 über eine Zusammenarbeit unterhalten hatte. Dürrenmatt legte ein Exposé vor und erhielt den Auftrag: eine Filmerzählung über Sittlichkeitsverbrechen an Kindern, ein Stoff von einer Bedeutung also, „deren internationale Aktualität leider nicht geleugnet werden kann“, wie Wechsler schrieb. Regisseur sollte Wolfgang Staudte sein, der dem Film den Titel gab, aber absagen musste, als Dürrenmatt wegen Krankheit in Verzug geriet. Auch Martin Held als Kommissär stand nicht mehr zur Verfügung. Schließlich wurde für die Regie Ladislao Vajda verpflichtet, als Hauptdarsteller Heinz Rühmann.

Die Rolle des Kommissärs Matthäi, der einem Mädchenmörder, mit nicht viel mehr als einer Kinderzeichnung und eigener Intuition als Hilfsmitteln, eine Falle stellt, bedeutete für den auf Komödien festgelegten Schauspieler einen erheblichen Imagewechsel. Das war ihm hochwillkommen, wie er in einem an den Kinokassen verteilten Text schrieb: „Verstehen Sie mich recht, ich möchte einmal weg vom Typ des kleinen verschmitzten Bürgers. Ich will jetzt einen Charakter, einen Menschen mit all seinen guten und schlechten Seiten aufzeigen, ohne dass das Publikum bereits lacht, wenn man nur am Rande des Bildrahmens erscheint.“ Aber die Kontrolle wollte er behalten, bedingte sich daher aus, dass sein Hausautor Hans Jacoby als Berater hinzugezogen werde. Der Berliner hatte schon das Skript von „Vater sein dagegen sehr“ zu Rühmanns Zufriedenheit repariert und musste nun bei Dürrenmatt ran. Also traf, wie sich der damalige Aufnahmeleiter Philippe Dériaz erinnert, kurz nach Drehbeginn ein Brief vom Produzenten ein: Die alten Drehbuchseiten seien zu vernichten, die neuen einzuordnen. Besonders die Schlusszenen waren betroffen: Matthäi bekam humanere Züge, zeigte nun Skrupel gegen seine fragwürdigen Methoden.

In den zur Premiere verteilten Presseinformationen spielte dieses Gerangel um den Stoff keine Rolle. Gerühmt wurde vielmehr die Internationalität des Films. Gedreht wurde nahe Zürich und Chur. Als Coproduzenten hatte Wechsler den Berliner Artur Brauner gewonnen, in dessen Spandauer CCC-Studios entstanden einige Szenen. Auch bei den Schauspielern war Berlin präsent, mit Siegfried Lowitz, der später fürs ZDF 100 Folgen lang „Der Alte“ war, und Berta Drews, Witwe von Heinrich und Mutter von Götz George.

Wie von Dürrenmatt vorausgesagt, wurde der Film ein großer Erfolg, erst 1958 im Kino, später im Fernsehen. Fünf weitere Neuverfilmungen des Stoffes folgten, darunter 1997 von Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Nico Hoffmann, mit Joachim Król als Matthäi. Vor vier Jahren schließlich sollte Dürrenmatts alter Stoff als Hollywood-Version zur Berlinale zurückkehren: Regisseur Sean Penn hatte die Buchversion gewählt, für Dürrenmatt ein „Requiem auf den Kriminalroman“, in dem der Mörder auf dem Weg in die Falle bei einem Unfall ums Leben kommt. Wegen Rechtsstreitigkeiten zwischen den beteiligten Firmen musste der US-Film mit Jack Nicholson in der Hauptrolle aus dem Festivalprogramm gestrichen werden. Ein großartiges Projekt, durch eine blöde Panne gestoppt – in Dürrenmattscher Wortwahl wäre das wohl „die schlimmstmögliche Wendung“.

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