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Jahrgang ’74. Cornelia Otto bezeichnet sich selbst als Nerd. Nach dem Wahlkampf will sie zur Erholung Computer spielen.

© picture alliance / dpa

Cornelia Otto und Hans-Christian Ströbele: Ihr erster und sein letzter Wahlkampf

Sie Jahrgang '74, er 74 Jahre alt. Während Cornelia Otto das erste Mal in den Wahlkampf zieht, wird es für Hans-Christian Ströbele die Abschiedsvorstellung. Ein Vergleich der Wahlkämpfer

Cornelia Otto, Piraten, Jahrgang '74

Ein bisschen härter hatte sie es sich vorgestellt. Anders jedenfalls. Cornelia Otto, Jahrgang ’74, hat ihren ersten Wahlkampf fast hinter sich. Im Café „Zimt und Zucker“ am Schiffbauerdamm macht sie kurz Pause vor dem nächsten Termin. Als Spitzenkandidatin der Piratenpartei für Berlin hat sie beste Chancen in den Bundestag einzuziehen, falls ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde knackt. Falls. Denn das ist nach dem mageren Ergebnis bei der Bayern-Wahl nicht sicher. Und es frustriert, wie sie zugibt. Aber, dafür immerhin ist sie schon lange genug Wahlkämpferin, die Wahl verloren geben will sie nicht. Bis zur letzten Minute kämpfen. Wie alle.

In diesem, ihrem ersten Wahlkampf, flossen noch Tränen. Der Erschöpfung und der Euphorie. „Wir haben uns in den Armen gelegen und geweint, weil wir so fertig waren und wir haben uns in den Armen gelegen und geweint, weil wir so elektrisiert waren“, sagt Otto. Vier bis fünf Termine am Tag hat sie. „Weniger geht auch nicht“, sagt sie. Mehr wohl auch nicht. „Wir sind teilweise an die Grenzen der Belastbarkeit gestoßen.“ Und trotz allem wurde die Piratenpartei im Wahlkampf nicht so wahrgenommen, wie Otto sich das gewünscht hätte. NSA-Affäre, Datenschutz. Man konnte ja den Eindruck gewinnen, die Piraten ließen diese Themen an sich vorüberziehen. „Ungerecht“ findet Otto das von den Medien, die die Piraten oft übergangen hätten. Aber auch sie habe Schuld daran, sagt sie. Auch die Piraten hätten Fehler gemacht.

Cornelia Otto, das wird im Gespräch schnell klar, ist ein Nerd. Eine Bezeichnung, die sie sich auch selbst gibt. Eine Prototyp-Piratin. Eigentlich arbeitet sie selbstständig als Mediendesignerin. Urlaub macht sie nach dem Wahlkampf nicht am Strand, sondern in der eigenen Wohnung. „Einfach drei, vier Wochen Computerspiele spielen.“ Sie grinst beim Gedanken daran. Denn dafür hatte sie in den letzten Wochen keine Zeit. Sie ist für nicht weniger angetreten, als die Welt zu retten.

Vor vier Jahren, Otto erinnert sich genau, hat sie sich politisiert. Finanzkrise. Freihandelsabkommen mit Afrika, Müllteppiche auf den Weltmeeren. „Ich habe das nicht mehr ertragen“, erzählt sie. „Ich habe mich damals gefragt: Was würde ich dafür einsetzen, um etwas zu ändern?“ Zeit und Geld. So muss heute die Antwort lauten. Otto unterbrach ihre Arbeit und startete ein Studium in Politik, Soziologie und VWL, trat den Piraten bei und war plötzlich Spitzenkandidatin. „Nächste Woche ist das Geld alle“, sagt sie fast ein bisschen fröhlich. Froh auch, dass es überhaupt so lange gereicht hat.

Schön wäre ein Platz im Bundestag. Dann hätte sich alles gelohnt. Auch sonst bleibe ihr der Zuspruch der Menschen auf der Straße. Die „Freiheit statt Angst“-Demo gegen den Überwachungsstaat, wo Tausende ihrer Rede lauschten, wo sie das Gefühl hatte, die Menschen zu erreichen. Mit den Kräften am Ende kann sie ihren ersten Wahlkampf trotzdem mit zwei rotzigen Worten zusammenfassen: „Geile Scheiße“. Nein, das sei etwas zu drastisch formuliert. „Es war ’ne geile Zeit’“, das könne man schon sagen.

Hans-Christian Ströbele, Grüne, 74 Jahre alt

Alter 74. Hans-Christian Ströbele will das Direktmandat zum vierten Mal holen – und tritt für vier volle Jahre an. Foto: Kietzmann
Alter 74. Hans-Christian Ströbele will das Direktmandat zum vierten Mal holen – und tritt für vier volle Jahre an. Foto: Kietzmann

© Björn Kietzmann

Er kann es nicht lassen. Hans-Christian Ströbele tritt – trotz einer im vergangenen Jahr diagnostizierten Krebserkrankung – zum vierten Mal als Direktkandidat der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg an. Es wird der letzte Wahlkampf des heute 74-jährigen Politikers sein – voraussichtlich. Aber selber hat Ströbele, der zu den Gründern des Berliner Grünen-Vorläufers Alternative Liste gehört, das nie gesagt. Denn als erfahrener Politiker und Rechtsanwalt weiß er, dass man irgendwann einmal auf seine eigenen Aussagen festgelegt werden kann. „Ich trete auf jeden Fall für die vollen vier Jahre an“, sagt Ströbele auf jeden Fall.

Niemand zweifelt daran, dass er auch in diesem Jahr wieder mit großer Mehrheit siegen wird. Das führt aber nicht dazu, dass Ströbele weniger kämpft. Nach wie vor ist er – vor allem bei gutem Wetter – auf der Straße unterwegs, verteilt seine Flyer im Volkspark Friedrichshain, beim Markt auf dem Chamissoplatz oder am Ufer des Landwehrkanals. In die Wohnungen allerdings geht Ströbele nicht. „Ich halte nichts davon, von Tür zu Tür zu gehen“, sagt er. Da störe man die Menschen eher in ihrem Alltag – was kontraproduktiv sei.

Zum ersten Mal kämpfte er 2002 um das Mandat. Damals hatte der Landesverband ihm einen aussichtsreichen Listenplatz verwehrt, woraufhin Ströbele beschloss, es direkt zu versuchen. Kaum jemand rechnete damals mit seinem Erfolg: Noch nie hatte es ein Grüner geschafft, einen Wahlkreis zu erobern. Und er legte einen Personenwahlkampf hin, wie ihn die Berliner Grünen bisher nicht kannten. Er warb auch in Abgrenzung zum Alphatier der Partei, dem damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer. „Ströbele wählen heißt Fischer quälen!“, plakatierte er in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg-Ost. Auf den Straßen konnte man stets auf ihn treffen – bis er zwei Tage vor der Wahl an einem Infostand von einem vorbestraften Neonazi mit einem Teleskopschlagstock niedergeschlagen wurde. Den Wahlsonntag musste er in der Charité bleiben, aber seinen unerwarteten Sieg in Friedrichshain-Kreuzberg feierte er am Sonntagabend doch bei der Wahlparty im Tempodrom. 31,6 Prozent holte er damals; auf 43,2 Prozent kam er drei Jahre später. Und 2009 waren es sogar 46,8 Prozent – das waren mehr Stimmen, als die Kandidaten von SPD, CDU und der Linken gemeinsam holten.

Ströbele hat seinen eigenen Wahlkampfstil. Eigene Veranstaltungen macht er nur wenige, aber gerne geht er zu Podiumsdiskussionen mit den Kandidaten anderer Parteien – öfter in Schulen, gerne auch in Seniorenheimen. Dort trifft er dann auch auf Gleichaltrige.

Facebook und Twitter gehören heutzutage auch zu einer vernünftigen Kampagne. Sein Team kümmert sich meist für ihn darum. Diese Einträge sind dann mit „(T)“ gekennzeichnet. Fehlt diese Angabe, dann twittert Ströbele selbst. Dabei hat er vor allem ein Problem: sich kurz zu fassen, nur 140 Zeichen sind möglich. Für ihn als engagierten Redner eine ungeheure Herausforderung.

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