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Berlin: "Da kann man nicht privatisieren"

Karin Schubert (56, Juristin) gilt als West-Frau mit Ost-Erfahrung. Die gebürtige Erfurterin ging im Alter von 15 Jahren nach Westdeutschland.

Karin Schubert (56, Juristin) gilt als West-Frau mit Ost-Erfahrung. Die gebürtige Erfurterin ging im Alter von 15 Jahren nach Westdeutschland. Sie war Richterin in Nordrhein-Westfalen, später Justitiarin der Düsseldorfer Landesvertretung in Bonn. 1991 wurde sie Präsidentin des Landgerichts Neubrandenburg. Seit 1994 arbeitete sie als Justizministerin in Sachsen-Anhalt.

Sie haben sich als Justizsenatorin in Sachsen-Anhalt gegen eine rot-rote Koalition ausgesprochen. Warum treten Sie in Berlin für eine solche Koalition ein?

Die PDS hat gemerkt, dass sie mit ihren ganzen Traumvorstellungen, mit denen sie Wähler zu gewinnen versucht, nicht an der Regierungsarbeit beteiligt sein kann. Schließlich gibt es knappe Haushalte, die einen auch zu unbequemen Lösungen zwingen. Diese Erkenntnis hat die PDS weiter gebracht auf dem Weg zu einer regierungsfähigen Partei. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es Leute in der PDS-Basis gibt, mit denen ich nicht zusammenarbeiten würde. Maßstab für eine Kooperation ist, dass der Partner auf dem Boden des Grundgesetzes und Rechtsstaats steht. Vom neuen Senat kannte ich bisher nur Herrn Gysi. Ich denke, mit ihm kann man gut zusammenarbeiten.

War es für Sie ein Problem, dass die PDS in Ihrem Fall ein Mitspracherecht hatte bei der Besetzung des Amtes?

Nein. Ich will hier Sacharbeit machen, Rechtspolitik und etwas Frauenpolitik, wenn man mich lässt. Ich habe schon Politik mit der CDU gemacht, der FDP und den Grünen. Das ist alles möglich, wenn es auf dem Boden der sozialdemokratischen Rechtspolitik geschieht. Wer mich dann im Abgeordnetenhaus wählt, ist mir egal.

Der Koalitionsvertrag trägt ja, was die Bereiche Innen- und Justizpolitik betrifft, eine sehr liberale Handschrift. Verstehen Sie sich als liberale Sozialdemokratin?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin strikt dagegen, dass man das Grundgesetz verändert. Ich war beispielsweise immer gegen den großen Lauschangriff und eine Verfechterin von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die damals die Konsequenzen gezogen hat. Auch den ersten Entwurf von Schilys Sicherheitspapier nach dem 11. September hätte ich sicherlich nicht mittragen können. Aber da sind ja dann die rechtlich bedenklichen Spitzen rausgenommen worden.

Mal geraten: Sie sind auch gegen eine Senkung der Strafmündigkeitsgrenze von Jugendlichen?

Absolut. Es ist doch überhaupt nicht erwiesen, dass die Kinder heute psychisch reifer sind als früher. Hier muss man dagegen halten, weil es immer wieder Leute gibt, die versuchen, die Brechstange anzusetzen, wie zuletzt Ronald Schill in Hamburg.

Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, von Magdeburg nach Berlin zu wechseln?

Vierzehn Tage vor Wowereits Angebot gab es bei uns eine Pressekonferenz zum Zustand der Justiz in Sachsen-Anhalt. Dabei ist einmütig festgestellt worden, dass die Justiz in Sachsen-Anhalt nach acht Jahren Aufbauarbeit dort angekommen ist, wo sie ankommen sollte. Da habe ich mich gefragt: Mache ich jetzt die nächsten Jahre Routinearbeit oder habe ich genug Kraft, um noch etwas Neues anzufangen?

Sie halten nichts von gemachten Nestern?

Nein, ich leiste gerne Pionierarbeit.

Wo hätte Berlin die am nötigsten?

Bei der Justiz sind etliche Löcher zu stopfen. Die Ausstattung ist miserabel und dem 21. Jahrhundert nicht annähernd angemessen. Das ganze Ausmaß kenne ich natürlich noch nicht, aber ich werde nächste Woche beginnen, die einzelnen Behörden zu besuchen. Ich werde mir jedes einzelne Haus, jede Anstalt vom Keller bis zum Dach ansehen und mit so vielen der Kollegen wie möglich sprechen. In sechs bis acht Wochen werde ich einen Überblick haben, wo wir beginnen müssen.

Gibt es etwas, was Sie gerne noch im Koalitionsvertrag festgeschrieben hätten?

Ich hätte für das Sofortprogramm der Justiz mehr als 39 Millionen Euro reingesetzt (lacht).

Als größtes Problem Ihres Ressorts gelten die vollen Knäste. Was wollen Sie gegen die Überbelegung machen?

Ich habe heute gerade neue Zahlen bekommen. Demnach nimmt die Überbelegung ab. Und wenn sich der Trend fortsetzt, brauchen wir zumindest nicht sofort neue Haftplätze zu schaffen. Eine Entspannung der Situation ist sicherlich dadurch eingetreten, dass die gemeinnützige Arbeit zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen eingeführt worden ist.

Sie sind also eine Verfechterin des Mottos "Schwitzen statt sitzen"?

Das unterstütze ich in vollem Maße. Wer zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, diese aber nicht bezahlen kann, hat keine Freiheitsstrafe verdient. In solchen Fällen war die Tat nicht so schwer, war die Schuld nicht so schwer. Warum muss der Verurteilte dann später, nur weil er arm ist, ins Gefängnis einrücken?

Gibt es eine Alternative?

Ich meine, dass jeder der keine Geldstrafe zahlen kann, Angebote bekommen müsste, gemeinnützig zu arbeiten. Nur darf man die Augen davor nicht verschließen, dass es Menschen gibt, die nicht arbeitsfähig sind. Weil sie drogensüchtig oder aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit nicht mehr zum Arbeiten in der Lage sind. Da sollte man von Strafe ganz absehen.

Man kann sich die Schlagzeilen der Boulevardpresse vorstellen: "Freifahrtschein für straffällige Junkies und Arbeitsscheue ..."

Ich weiß, das ist ein heißes Eisen. Aber das muss eine Gesellschaft erdulden können. Es gibt Kranke, die behandelt werden müssen. Es gibt Straftäter, die bestraft werden müssen. Aber es kann nicht sein, das Strafensystem durcheinander zu bringen und Geldstrafen in Freiheitsstrafen umzuwandeln.

Im Koalitionsvertrag haben SPD und PDS vereinbart, Dienstleistungen im Strafvollzug zu privatisieren. Wo sehen Sie hier eine Grenze?

Die Grenze ist da erreicht, wo hoheitliche Aufgaben erfüllt werden. Das heißt bei den Vollzugsbediensteten, die die Türen auf- und zuschließen und den Vollzug überwachen. Oder auch bei denen, die über Freiheitsmaßnahmen entscheiden können. Da kann man nicht privatisieren.

Sonst halten Sie Teilprivatisierungen für ein probates Mittel zum Sparen?

Denkbar wäre so etwas nur bei den so genannten Hausbetrieben, also beispielsweise für die Anstaltsküchen, Wäschereien oder Gärtnereien. Aber das lohnt sich eigentlich nicht. Denn diese Arbeiten werden ja von den Inhaftierten selbst erledigt, und das ist deutlich billiger als jedes Privatisieren.

Vor einigen Monaten kam es in den Gefängnissen zum Hungerstreik. Ihr Vorgänger Wieland setzte damals auf Dialog. Hätten Sie auf Härte gesetzt?

Ich würde mich erst mal nach der Ursache für den Streik erkundigen. Wenn es sich um einen berechtigten Streik handelt, weil der Zustand in der Haftanstalt nicht mehr erträglich ist, muss man Abhilfe schaffen und sehen, wo man Gelder aus dem Haushalt gewinnt. Ich würde nie von vornherein sagen: Ich bin hart oder weich. Das hängt von den Umständen ab.

Hat denn Wieland alles richtig gemacht?

Ich weiß nicht, ob Wielands Haltung zum Graffiti-Gesetz richtig gewesen ist. Wir haben es anders gemacht. In Sachsen-Anhalt regt Graffiti die Bevölkerung in hohem Maße auf und lässt sie auch am Rechtsstaat zweifeln. Da musste man handeln.

Wird jetzt von Ihnen die Gesetzesinitiative zur Graffiti-Bekämpfung reaktiviert?

So genau kenne ich die Berliner Bevölkerung noch nicht. Wenn sie leidensfähig genug ist, das hinzunehmen: okay.

Welchen Stellenwert räumen Sie der Aufklärung der Banken- und Spendenaffäre ein?

Einen sehr großen. Zum einen, weil Wirtschaftskriminalität das Gesamtvermögen des Staates deutlich schädigt. Zum anderen der Gerechtigkeit wegen: Wenn Straftaten von Leuten, die zu den oberen Zehntausend gehören, nicht konsequent verfolgt werden, dann werden die normalen Bürger noch verdrossener gegenüber dem Rechtsstaat. Ich rechne nächste Woche mit einem Bericht der Ermittlungsgruppe.

Sie gelten als Verfechterin verkürzter Gerichtsverfahren.

Ich verfolge da ein Generalkonzept. Man kann Rückstände vermeiden, wenn man die Behörden technisch entsprechend ausstattet, das Personal spezialisiert und die Arbeitsabläufe optimiert. Das heißt, die Justiz muss mit Serviceteams arbeiten, wo jeder alles machen und man füreinander einspringen kann - ohne lange Wege.

Muss sich auch die Richterschaft auf moderne Zeiten einstellen?

Wir haben in Sachsen-Anhalt ein Pilot-Projekt ins Leben gerufen zur Globalbudgetierung der Einzelbehörde. Diese soll frei entscheiden können, ob sie sich dann einen neuen Richter leistet, einen Schreibtisch oder lieber einen Computer. Mit der Akzeptanz der neuen Haushaltsmethode haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Kann so etwas auch in Berlin funktionieren?

Das ist nicht so einfach. Man muss erst mal die Richterschaft, die Staatsanwälte und die Mitarbeiter überzeugen, dass das ihre Arbeit erleichtert. Gegen deren Widerstand ist nichts zu machen. Und wenn man ihnen danach gleich alles wieder abzieht, was sie eingespart haben, braucht man damit gar nicht erst anzufangen.

Ihren ersten Auftritt hatten Sie in Berlin bei der Wahl des Senats. Hatten Sie den Eindruck, im Tollhaus gelandet zu sein?

Da habe ich mir natürlich so meine Gedanken gemacht. Dann habe ich mir gesagt: Du bist aus der Provinz, in der Hauptstadt macht man das vielleicht so. Da wählt man eben zwei Mal (lacht).

Ihr Wechsel nach Berlin kam ziemlich spontan. Wird Ihre Familie mitziehen?

Meine drei Kinder sind erwachsen, und mein Mann arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern als Richter. Wir werden uns am Wochenende sehen, in der Woche werde ich in Berlin einen Singlehaushalt führen.

So ganz Single werden Sie nicht sein, denn Herr Lehmann, Ihr Rauhaardackel, ist im Dienstwagen immer dabei. Was sagt denn Ihr Chauffeur dazu?

Der hat sich schnell mit Lehmann angefreundet, schließlich verkürzt er ihm die langen Wartezeiten. Ich habe auch schon einen Brief von einer Berlinerin bekommen. Drin lag das Foto einer Dackeldame mit der Bitte, Lehmann möge sie doch decken.

Sie haben sich als Justizsenatorin in Sachsen-Anha

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