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Berlin: Danken im Voraus

Festgottesdienst im Johannesstift Spandau

„Lass uns lieber im Schatten sitzen“, bittet die ältere Dame im Rollstuhl. Ihre Tochter schiebt sie zu den hinteren Reihen unter die Ahornbäume. Wer beim Festgottesdienst im Evangelischen Johannesstift Spandau sich seinen Platz noch aussuchen wollte, musste allerdings rechtzeitig dort sein. Senioren, Patienten, Kinder, Jugendliche, Angehörige und Mitarbeiter füllten die Klappbänke unter freiem Himmel. Vor der Stiftskirche war eine Bühne aufgebaut.

Eigentlich ist Erntedank erst nächste Woche. Doch die Spandauer nutzten schon diesen Sonntag im warmen Spätsommer für ein großes Erntedankfest mit Infoständen, Bratwurstbuden, Blas- und Chormusik, Tanz und Festumzug. „Hier im Johannesstift ist man eben immer etwas der Zeit voraus“, sagte Bischof Wolfgang Huber in Anspielung auf Terminvorzug und Geschichte des Hauses. Johann Hinrich Wichern, vor etwa 150 Jahren Gründer des Johannesstifts, war damals mit seinem kirchlichen Projekt zukunftsweisend. Heute leben im Johannesstift der Diakonie über 1000 Menschen. Neben dem Altenheim und Krankenhaus, der Kindertagesstätte, Schule und pädagogischem Zentrum gibt es auch einen Einkaufsladen, Frisör, eine Gärtnerei – eine richtige kleine Stadt.

„Hier wird das Motto ‚Leben, danken, teilen‘ gelebt“, erklärt Huber in der Predigt. Ein Grundsatz, der schon seit dem Propheten Jesaja gelte: Dass man für Gottes Gaben dankt und sie mit anderen teilt. „Erntedank haben die Menschen seit alter Zeit gefeiert, wenn im Herbst das Getreide vom Feld eingeholt wurde.“ Entsprechend der Tradition ist deshalb die Bühne geschmückt mit Gerstenbündeln, Kürbissen und Sonnenblumen. Vorne am Bühnengerüst schaukelt die aus Gerste gewundene Erntekrone im Wind. Sie wurde am Nachmittag von den Kindern dem Stiftsvorsteher, Pfarrer Martin von Essen, übergeben. Als Dankeschön. „Ein Brauch“, sagt Huber, „der Begegnung und Miteinander symbolisiert.“ Dann musiziert das Gospelensemble „Sounds Of Joy“. Und die Chorkinder mit weißen Schirmmützen sammeln die Kollekte ein. Der Bischof bedankt sich. Zum Abschluss vor dem Segen singen die Kinder noch ein Lied. „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast …“ Eigentlich ein Tischgebet. Oder auch ein Dank im Voraus – für die Bratwurst oder den Sonntagsschmaus hinterher.

Sven Scherz-Schade

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