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Berlin: Das Baumeister-Doppel

Rüdiger und Jürgen Patzschke entwarfen das Adlon. Jetzt feiern die Architekten 75. Geburtstag.

Berlin - Der Stachel sitzt noch. Nach all den Jahren, allen Erfolgen zum Trotz. Rüdiger und Jürgen Patzschke werden 75. Berlins wohl einzige Baumeister-Zwillinge (eineiig!), sie hätten Stars des Architekturbetriebs werden können. Das Skandalpotential dazu hatten sie: Sie waren es, die das jetzige Hotel Adlon entworfen haben, ein historisierendes Bauwerk – für viele bis heute ein Affront gegen die guten Sitten in der Baukunst. Ja, das Adlon verursachte einen ähnlichen Knall wie rund 100 Jahre zuvor Wiens erstes schnörkelloses Haus. Nur, dass Adolf Loos’ Bauwerk das Ende einer Ära einläutete – die Patzschkes aber just dieser Vergangenheit zu neuer Ehre verhelfen wollen. Loos brach mit dem Alten und gab der Welt etwas Neues, nie Dagewesenes. Rüdiger und Jürgen Patzschke tragen die Moderne zu Grabe mit Tradition.

Verglichen mit den glatten in der perfekten Abstraktion fast schon geistigen Werken eines Modernisten wie Oswald Maria Ungers arbeiten Patzschkes ornamental. Nur Kriminelle schmücken sich mit Ornamenten, schimpfte Loos einst. In diesem Sinne seien sie „ganz schlimme Verbrecher“, wie Rüdiger Patzschke sagt: „Wir haben uns ganz früh gegen schlechte moderne Architektur gewandt“. In den 1980er Jahren war das, als es in Berlin noch „Entstuckungsprämien“ gab und deshalb Ornamente von den Gründerzeitfassaden geschlagen wurden, um sie „moderner“ aussehen zu lassen. Dabei waren die Patzschkes selbst mit modernen Entwürfen gestartet, und fragt man sie heute, ob sie noch mal im Stil der Moderne bauen würden, antworten sie ohne zu zögern: „Ja, in Marzahn!“.

Architektur müsse sich anpassen an ihr Umfeld. Auf Gran Canaria haben sie eine Ferienanlage gebaut, die an eine befestigte maurische Küstenstadt erinnert. Am goldenen Horn in Istanbul entwarfen sie eine Wohnsiedlung mit Vor- und Rücksprüngen und orientalischen Anleihen. Und in Berlin stehen mehr als hundert Patzschke-Bauten, in Mitte oder auch in der Hochburg des Historismus, an Wilmersdorfs Rüdesheimer Platz. Fast alle sind so gut eingepasst, dass sie der flüchtige Blick nicht mal mehr als neu erkennt.

Das sieht längst nicht jeder als Nachteil an. Ärger gibt es dafür mit den Denkmalschützern. Weil das Neue sich nicht stark genug vom Alten unterscheidet. Verkehrte Welt, gehört es doch fast schon zum Klischee, dass sich ein Architekt im Stadtbild ein deutlich sichtbares Denkmal setzen will. An dieser Stelle kriegen die Patzschkes sie dann doch zu packen, die Modernisten: „80 Prozent der Menschen wollen traditionelle Architektur“, zitieren sie Umfragen. Die Architekten selbst im Übrigen auch: „Die wohnen doch fast alle in Altbauten und nicht in eigenen Häusern.“

Der Stachel sitzt eben. „Wir sind oft schlecht behandelt worden“, sagt Rüdiger. Aber sie haben allen Grund, stolz zu sein. Am Potsdamer Platz entstanden Türme im Art-Déco-Stil. Am Leipziger Platz zitieren Neubauten die 20er Jahre. Ohne die Patzschkes wäre das wohl kaum möglich.

Nun folgt die nächste Generation: Rüdigers Sohn Robert, 41, ist als Partner mit im Architektenbüro, das zu den größten Berlins zählt. Das ist so gut ausgelastet, dass es auch mal einen Großauftrag ablehnen muss. Und wenn Patzschkes einen Auftrag unbedingt haben wollen, die Wettbewerbsjury aber voller Modernisten ist, dann wissen sie sich zu helfen: Mit einem schnörkellosen Standard-Entwurf haben sie sich jüngst in einem Wettbewerb für einen Neubau mitten in der Stadt durchgesetzt. Ralf Schönball

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