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Berlin: Das Bett war leer – dann klingelte die Polizei

Naresh saß zu nah am Gleis. Eine S-Bahn riss ihn in den Tod. Die Eltern glaubten, ihr Sohn schlafe in seinem Zimmer

Von Tanja Buntrock

und Stefan Jacobs

Bei der Familie K. in Wilmersdorf steht die Wohnungstür offen. Die Familie aus Sri Lanka trauert um ihren 17-jährigen Sohn Naresh. Freunde, Verwandte und Nachbarn kommen in die Hinterhof-Wohnung im ersten Stock. Sie treten vor bis ins Wohnzimmer, wo der Vater und die Mutter des Toten bitterlich weinen.

Ihr Sohn Naresh ist – wie berichtet – in der Nacht zu Sonntag bei einem Unfall von einem S-Bahnzug in Schöneberg auf den Gleisen erfasst und durch die Luft geschleudert worden. Naresh war sofort tot.

„Wir können es immer noch nicht fassen, dass er nicht mehr da ist“, sagt Nareshs Bruder Sadesh, 18 Jahre. Er teilte sich ein Zimmer mit Naresh. Die beiden anderen Brüder, 26 und 28 Jahre, leben nicht mehr in der Dreizimmerwohnung der Familie K. „Die ganze Familie ist zusammen. Alle, die kommen, versuchen, uns zu stützen“, sagt Sadesh.

Noch immer weiß von der Familie niemand, warum sich Naresh K. überhaupt in der Nacht mit seinen drei Kumpels Haris (15), Dennis (15) und Hamsa (18) illegal auf den Gleisen unweit des Bahnhofs Schöneberg aufgehalten hat. Die Polizei sagt später, nachdem sie die überlebenden Jugendlichen befragt hat: Die Jungen hätten auf einer „Begrenzungsmauer“ am Rande der Gleise gesessen. Als die S-Bahn sich näherte, merkten sie, dass plötzlich der Platz zu den Waggons zu knapp wurde. Zwei aus der Gruppe konnten sich noch retten, indem sie sich nach hinten fallen ließen. Naresh und Haris wurden erfasst – Haris überlebte schwer verletzt.

„Wir haben am Sonnabend noch bis Mitternacht Fernsehen geschaut. Mein Bruder ist dann ins Bett gegangen, ich wenig später auch. Als ich morgens aufgewacht bin, da wunderte ich mich, dass er gar nicht zu Hause war. Niemand hat von uns mitbekommen, dass er nachts noch mal weggegangen ist“, schildert Sadesh. Dann folgte eine Szene, die wohl jeden schaudern lässt: Sonntagfrüh klingelten Polizeibeamte an der Tür der Familie K. „Ihr Sohn ist leider bei einem Unfall gestorben.“ – Die Worte des Polizisten klingen Sadesh noch immer im Ohr. „Meine Mutter ist sofort zusammengebrochen. Mein Vater hat die ganze Zeit geweint.“ Dem Bruder schießen die Tränen in die Augen, als er im gemeinsamen Kinderzimmer steht. Sein toter Bruder sei ein guter Schüler gewesen. Er habe fast nur gute Noten in der 10. Klasse der Realschule gehabt, wollte sogar Abitur machen, sagt Sadesh. Der Bruder trägt einen locker gewickelten Verband um sein Handgelenk. „Ich habe vor Wut gegen Wände geboxt, als ich hörte, dass mein Bruder tot ist.“ Dann schließt Sadesh die Kinderzimmertür, an der ein gelbes Schild klebt: „Der Aufenthalt im Gefahrenbereich ist verboten“ steht darauf.

Es scheint makaber, dass ähnliche Schilder gerade an Bahntrassen stehen. Der Bundesgrenzschutz muss immer wieder Menschen von S-Bahn-Gleisen holen. Die Beamten träfen bei ihren Einsätzen Menschen jeden Alters und aus den verschiedensten sozialen Schichten, eine besondere Problemgruppe gebe es nicht, sagt ein Sprecher. Nur eines sei allen gemein: ihr maßloser Leichtsinn. Bei der BVG sind es vorwiegend Graffiti-Sprayer, die sich in Lebensgefahr begeben. Die Fahrer können im Notfall zwar den Strom abschalten, aber sie haben kaum eine Chance, einen fahrenden Zug rechtzeitig zu stoppen. Eltern und Lehrer sollten jedem Kind einschärfen, dass Bahntrassen immer höchste Lebensgefahr bedeuten, mahnt S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz.

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