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Berlin: „Das bisschen Leben, das wir haben, wollen wir einsetzen“

August Sapandowski versteckte in der Nazizeit Berliner Juden, er selber wurde dafür im KZ ermordet. Seine Tochter Vera, die ihm damals half, nimmt morgen eine Ehrung von Yad Vashem entgegen

Von Amory Burchard

Wäre die Utopie ihres Vaters wahr geworden, sagt Vera Ipczynski, müsste es diese Ehrungen gar nicht mehr geben. August Sapandowski versteckte in der Nazizeit Berliner Juden in seiner Wohnung und in seiner Werkstatt. Unter den Geretteten war Herbert Strauss, der spätere Gründer des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung. Sapandowski wurde verraten und ins Konzentrationslager verschleppt. Er starb im März 1945 in Bergen-Belsen. Morgen ehrt ihn die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem posthum als „Gerechten der Völker“. Vera Ipczynski nimmt die Ehrung in der israelischen Botschaft für ihn entgegen.

Vera war 13, als August Sapandowski begann, jüdische Bekannte zu verstecken. Wenn sie mittags vom Wilmersdorfer Bettina-von-Arnim-Gymnasium in die Wohnung in der Schrammstraße kam, saßen die Untergetauchten da mit ihrer Angst – und mit ihrem Hunger. Von zwei Lebensmittelkarten sechs Leute zu ernähren, sagt Vera Ipczynski, war nicht einfach. Sie bekam ein Pfund Spinat, streckte es mit Mehl und Wasser zu einer Suppe. Ganz allein mit ihrem Vater trug sie das große Geheimnis und die Gefahr. Ihre Mutter war 1941 an einer schweren Krankheit gestorben.

August Sapandowski, ein Malermeister mit künstlerischer Ader, erledigte seine Aufträge, versorgte die Versteckten in seiner Werkstatt in der Laubacher Straße, ging zu konspirativen Treffen mit anderen Nazi-Gegnern. Manchmal brachte er Verfolgte mit, die ein paar Tage oder Wochen blieben. Eine junge Frau blieb länger. Elsbeth Orgler verliebte sich in Sapandowski. Vera hätte sie gern zur Mutter gehabt.

Keine Angst zu haben, das sei das Erbe, das ihr der Vater hinterließ, sagt Vera Ipczynski. Sie seien beim Bombenalarm mit ihren illegalen Gästen in der Wohnung geblieben. Manchmal gingen Sapandowki und seine Vera in Bombennächten auf den Balkon. Das Schicksal, verkündete der Vater trotzig, sei auf ihrer Seite. Die Bomben sollten nicht sie treffen. Die Utopie des katholischen Sozialisten und Idealisten: Irgendwann werden sich Menschlichkeit und Gerechtigkeit durchsetzen. Irgendwann werden die Menschen begreifen, dass sie auf der Erde nur zu Gast sind und sich keiner über den anderen erheben darf. Die Sapandowskis verwirklichten die Utopie in einer unmenschlichen Zeit. „Das bisschen Leben, das wir haben, wollen wir dafür einsetzen“, sagte der Vater. Und dass sie mit niemandem über die Versteckten sprechen dürfe – „das könnte für uns alle lebensgefährlich sein.“

Zweimal wurde August Sapandowski denunziert: Von einer Nachbarin, die über seinem Werkstattkeller wohnte, und von einer Frau, die er versteckte. Sie wollte sich retten, als sie bei einem Ausflug in die Stadt der Gestapo in die Hände fiel. Sapandowski und Elsbeth Orgler tauchten unter, Vera blieb allein zu Hause. Nach einigen Monaten kehrten der Vater und seine Freundin zurück – und nahmen wieder von der Deportation bedrohte jüdische Mitbürger auf. Der 15-jährige Sohn einer Familie wurde Veras Freund und Vertrauter. „Ganz platonisch natürlich“, betont sie. Der letzte Gast, eine junge jüdische Frau, verriet ihr Versteck, und diesmal konnten die Retter nicht fliehen. Ihre beiden Bezugspersonen in Gestapo-Haft, im KZ, ihr grausamer Tod – es war für die inzwischen 15-jährige Vera kaum zu verkraften. Auch sie wurde fünf Tage lang eingesperrt, verhört, gequält. Sie sollte andere Helfer aus dem Netzwerk ihres Vaters verraten. Sie schwieg, kam frei und war wieder ganz auf sich gestellt. Vera überlebte einen Bombenangriff auf das Haus in der Schrammstraße, einen Selbstmordversuch, den Hunger der Nachkriegszeit. Rachegefühle gegenüber den Verrätern oder den Nazi-Schergen, die ihren Vater und seine Freundin umbrachten, seien ihr fremd, sagt sie: „Die Spirale der Gewalt musste ein Ende haben.“

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