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Berlin: Das Drama des Lichts

Siegessäulen im Abendlicht gehen gut? Bitte schön, Edward B. Gordon hat kein Problem damit, beim Malen auch ans Verkaufen zu denken. Jetzt hat er den Tagesspiegel gemalt und ein Zeitungsporträt in 36 Facetten geschaffen. Bernd Matthies hat nachgesehen, ob auch alles stimmt

MEIN BILD VON BERLIN (5): EDWARD B. GORDON

Edward B. Gordon ist ein äußerst provozierender Künstler. Anders als viele seiner Kollegen versucht er nicht einmal, exzentrisch oder auch nur unverständlich zu wirken. Er sieht es gern, wenn Touristen in sein Ladenatelier in der Nähe des Checkpoints Charlie kommen, er verkauft Postkarten seiner Werke für einen Euro, und er hat die gefürchteten BuddyBären bemalt, zum Beispiel für die Botschaft Maltas, die eine Skyline der Insel mit Boot und Ritter haben wollte. Na bitte, hat er gesagt, wenn schon Ritter, dann richtig – und so prangt auf dem Plastikbären ein geradezu altmeisterlich ausgearbeiteter maltesischer Krieger.

Fragt man Gordon nach seinem Selbstverständnis, so teilt er schlankweg mit, er sehe sich eigentlich eher als Handwerker. Gel stellt seine kurzen Haare stachelig nach oben, einer wie er könnte auch was mit Computern zu tun haben oder in einer Redaktion sitzen. Kommerziell, sagen manche Kollegen mit abwertendem Unterton, und er antwortet gelassen: „Ja, ich kann von meiner Arbeit leben.“ Zum Beispiel davon, dass begüterte Kunstfreunde Spaß daran finden, sich von ihm porträtieren zu lassen, für Preise von 2000 Euro aufwärts. Auch Berlin-Motive laufen gut, Alltagsskizzen, sogar Siegessäulen im orange glühenden Abendlicht beispielsweise. Doch im Atelier, dessen Wände mit Hunderten von Bildern dicht gefüllt sind, hängen nur ein paar von ihnen. „Die werden immer gleich rausgetragen.“

Gordon ist dennoch keiner, den man abwertend als „Kunstmaler“ ins Abseits stellen könnte. Denn dazu ist seine Arbeit viel zu eigenständig und handwerklich ausgefeilt. Auf den 36 Bildern aus dem Innenleben des Tagesspiegels lässt sich das leicht ablesen. Die Menschen werden unter präzise porträtierendem, aber nie karikierendem Strich lebendig, die differenzierten Lichtstimmungen treffen die Atmosphäre der Redaktionskonferenz am Vormittag ebenso wie das Austeilen der Abonnement-Exemplare mitten in der Nacht. Eher kontemplative Momente spiegelt er ebenso plastisch wie die Hektik in der Druckerei. Einen Tag und eine Nacht hat er im Haus und bei einer Zustellagentur verbracht; der dokumentarische Charakter der Bilder beruht auf Digitalfotos und schnell angefertigten Bleistiftskizzen. „Da hatte ja niemand Zeit, für mich Modell zu stehen“, sagt Gordon. „Ich habe einfach bei der Arbeit zugesehen, fühlte mich manchmal als Störer.“

Aus den ersten Rohskizzen entstand eine zweite, erheblich detailreichere Serie von zunächst 42 Zeichnungen, die dann im nächsten Arbeitsschritt zu 36 Ölbildern verdichtet wurde, vorgezeichnet zunächst, dann Schritt für Schritt gemalt. Kleine Formate wie diese bearbeitet Gordon nicht an einer Staffelei, sondern legt sie vor sich auf einen Tisch; von oben, meint er, lässt sich die Arbeit besser kontrollieren, während die Staffelei zu viel Distanz schaffe. Und nicht zu viele Details! „Malen hat mehr mit Bildhauerei zu tun als mit Zeichnen“, findet er. „Die Einzelheiten müssen erst nach und nach herausgearbeitet werden.“ Die dunkel glühenden, oft auch grell herausstechenden Farben sind kostspielige, nach klassischer Methode gefertigte Ölfarben, nie Acryl. Schon wegen des Geruchs: „Ich rieche das Öl, wenn ich morgens reinkomme, das ist fast schon erotisch.“ Ein Gefühl, das ihn pro Tag über gut zwölf Stunden im Atelier trägt, zur Zeit an sieben Tagen der Woche. Und was ist mit dem freien Wochenende? „Malen ist für mich keine Arbeit“, sagt er dezidiert, und deshalb braucht er auch keinen Urlaub, sondern reist allenfalls für neue Bilder oder Ausstellungen.

Dass der gebürtige Hannoveraner überhaupt nach Berlin kam, hat viel mit Zufällen zu tun. Er malt seit der Grundschule, wollte aber doch eher Schauspieler werden und lernte dieses Geschäft in London, aber es funkte nicht. Malen hingegen, das war sein Thema, auch als Broterwerb neben der Schauspielerei. Er analysierte Bilder, die ihn faszinierten, las dicke Bücher, „Leonardo zum Beispiel“, sagt er und zeigt auf ein besonders dickes, „den verstehen immer noch die wenigsten.“ Er bildete sich autodidaktisch fort, kopierte, probierte, landete in München, bis er mit der Stadt durch war. Und als irgendein Mietvertrag auslief, kam er 1998 nach Berlin – wegen der billigen Ateliers.

Vor allem war hier das Licht. Jenes, das den Eingeborenen zu selbstverständlich ist, den angereisten Künstler aber faszinierte. Er kam günstig an die großzügige Ladengalerie in der Krausenstraße und legte einfach los. „Ich bin hier noch nicht fertig“, sagt er heute. „Berlin ist eine Inspirationsquelle, die nicht versiegt.“ Genauer: die Innenstadt, Mitte. Hier hat er auch das „Berliner Orange“ entdeckt, das auf vielen seiner Bilder einen kräftigen Akzent setzt, „das ist mir gleich beim ersten Besuch aufgefallen.“

Auch auf den Tagesspiegel-Bildern ist es zu sehen, grell leuchtend von einer Anzeigenbeilage, die den Farbfleck in der ansonsten eher gedämpften, wenn nicht grauen Szenerie der Morgenkonferenz setzt. Dennoch fand Gordon die Szenen aus der redaktionellen Arbeit, die sich ja überwiegend am Tage abspielt, schwieriger als die von Kunstlicht illuminierten Bilder aus der Technik: „Das Drama des Lichts auf den Maschinen, das ist richtig poetisch.“ Der Bildzyklus führt langsam hinein, beginnend mit dem Chefredakteur beim kritischen Lesen. Die Skizzen zeigen den routinemäßigen Ablauf eines normalen Tages in der Redaktion, der mit Konferenzen beginnt, mit der Blattkritik, kurzen Diskussionen, Themenvorschlägen. Es wird Arbeit verteilt, Kommentarthemen kristallisieren sich heraus, dann wird die Feinabstimmung in die Ressorts verlegt – noch ist die Technik im Hintergrund. Das ändert sich erst am frühen Abend, wenn das Drama des Lichts beginnt und die Druckmaschinen zu rasen anfangen. Auf dem Hof des Verlagsgebäudes sammeln sich die ersten Lieferfahrzeuge, die Verkäufer der so genannten „Kneipenausgabe“ warten auf ihren Einsatz. Während die Redaktion mit kleinerer Mannschaft den Spätdienst übernimmt und das Blatt kontinuierlich aktualisiert, läuft die Maschinerie der Verteilung an die Abonnenten an, Zeitungspakete landen draußen in den Agenturen, werden geöffnet, an die Austräger weitergegeben. Inzwischen ist es tiefe Nacht, Zeit für Frühaufsteher, die die einzelnen Zeitungen zu den Briefkästen der Abonnenten bringen. Szenen einer zugänglichen, verständlichen Malerei – die den Tagesspiegel nicht nur den Lesern, sondern auch den Mitarbeitern noch ein Stück näher bringt.

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