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Berlin: Das Echo der Schüsse an der Oper

2. Juni 1967: Der Tod Benno Ohnesorgs radikalisierte eine ganze Generation – am Ende stand die Entscheidung der Linken zwischen Reform und Terrorismus

Manche, deren Leben der 2. Juni 1967 verändert hat, waren damals an der Deutschen Oper, andere kamen erst Jahre später nach West-Berlin. Doch der Tag, an dem der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Schuss tödlich verletzte, hat eine ganze Generation geprägt. Wolfgang Wieland, heute Bundestagsabgeordneter der Grünen, hörte den Schuss. Inge Viett, ehemalige RAF-Terroristin und Verbindungsfrau zu der Berliner Terrortruppe „Bewegung 2. Juni“, lebte damals noch gar nicht in Berlin. Horst Mahler, Rechtsanwalt, Augenzeuge der Obduktion Ohnesorgs und Anwalt von dessen Frau, hat sich heute von allem, was links ist, so weit entfernt wie kein anderer.

Tausende sind an diesem Tag radikalisiert worden – durch den Schuss auf den harmlosen Benno Ohnesorg, durch die Knüppelorgien der Berliner Polizei, durch die Härte, mit der der Staat auf einen bis dahin studentisch-bürgerlichen Protest reagierte. In den folgenden zwei Jahren wurde West-Berlin, die Stadt der billigen Wohnungen, der Freiheit von der Sperrstunde, der gerade 20 Jahre alten Freien Universität, zum Zentrum der Bewegung. Die ergriff alle großen westdeutschen Universitäten, in West-Berlin aber wirkte sie weit über die Universitäten hinaus.

Die meisten Mythen der Bewegung hatten hier ihre Ursprünge. Die Kommune 1 installierte sich hier, Ulrike Meinhof radikalisierte sich hier, Rudi Dutschke erlitt bei einem Attentat auf dem Kurfürstendamm die Schussverletzungen, die sein restliches Leben beeinträchtigten, Andreas Baader verwandelte sich vom proletenhaften Bohemien zum Staatsfeind.

Irgendwo in dieser Zeit und an diesem Ort liegt die Gabelung, an der die einen den Weg in die Institutionen nahmen und die anderen sich für die Gewalt entschieden. Oder ist diese Gabelung auf den 2. Juni 1967 zu datieren und auf dem Hof des Hauses Krumme Straße 66/67 zu verorten? Jedenfalls folgte für viele, die sich damals zur Studentenbewegung zählten, Jahre, in denen man diskutierte, politisierte, theoretisierte – auch über die Zulässigkeit von Gewalt –, aber über „Gewalt gegen Sachen“ nicht hinausging.

Andere erinnern sich, dass schon am Abend des 2. Juni 1967, nach dem Schuss auf Ohnesorg, eine junge Frau im Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes erschien und ihre Kommilitonen aufrief, sich zu bewaffnen. Sie rechnete offenbar damit, dass „die Generation von Auschwitz“ versuchen werde, die studentische Opposition zu vernichten. Die junge Frau, so schreibt Uwe Soukup in seinem Buch über den 2. Juni, war Gudrun Ensslin.

Der Weg vom Abend des 2. Juni 67 in den Untergrund und in den Terror war nicht weit. Ensslin, Baader und andere verließen Berlin-West zu diesem Zweck; der Terrorismus der RAF fand seine Schauplätze in der Bundesrepublik. Und doch verliefen die beiden Wege – der der friedlichen, wenn auch mächtig ideologiegetriebenen Veränderung und der Weg der Gewalt – auch in West-Berlin jahrelang in großer Nähe. Über das Jahr 1968 sagt Wolfgang Wieland, die Studenten hätten sich fast jeden Abend vor dem Café Kranzler getroffen – um zu diskutieren.

Und um gelegentlich zu demonstrieren: Keine andere Stadt bot derart viele symbolisch hoch aufgeladene Ziele für die Protestler, vom Amerika-Haus, wo man Farbbeutel gegen die Amerikaner und ihren Vietnamkrieg schleudern konnte, bis zum Springer-Verlag an der Kochstraße, der spätestens seit dem 2.Juni 1967 die publizistische Front gegen die bewegten Studenten aufgemacht hatte.

Fast untrennbar eng beieinander lagen nun in West-Berlin die Wege der einen in die Institutionen und der anderen in den Terror. Sie führten durch West-Berliner Gerichtssäle, in denen gegen Steinewerfer verhandelt und der Todesschütze Kurras freigesprochen wurde. Sie führten über den Tegeler Weg, am Gericht vorbei, zu Straßenschlachten mit der Polizei und in die Umgebung des Springer-Verlages, wo Studenten Transporter des Zeitungsimperiums umstürzten. Sie führten durch antiautoritäre Kinderläden und maoistische Sekten bis zum Tunix-Kongress der Spontis und in Frauenwohngemeinschaften. Die machten männliche Besucher mit dem Gebot des Pinkelns im Sitzen vertraut.

Der andere Weg führte eine kleine Terroristentruppe zum Schusswaffengebrauch: Aus dem „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“, aus „Tupamaros“ und anderen „Anarchos“ mischt sich im Januar 1972 die „Bewegung 2. Juni“. Der RAF-Fachmann Butz Peters zitiert zur Namensgebung deren Mitglied Bommi Baumann: Die Gruppe habe sich so genannt, weil „bei Meldungen dann immer gesagt werden muss, der 2. Juni war der Tag, an dem der Student Ohnesorg von dem Bullen Kurras erschossen worden ist“. Peters kommentiert das trocken mit: „Ein genialer PR-Coup.“ Die Bewegung aber bleibt vor allem wegen ihrer brutalen Anschläge in Erinnerung. Mitglieder der Bewegung 2. Juni töteten bei einem Anschlag auf den Britischen Yachtclub 1972 einen Bootsbauer, sie brachten 1974 den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann um. 1975 entführten sie den CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz.

Längst lag ein deutlicher Abstand zwischen dem Teil der Bewegung, der allenfalls zur Gewalt gegen Sachen bereit war, um den Terroristen. Und West-Berlin galt – wie Inge Viett damals den Mitgliedern des 2. Juni vorgehalten haben soll – als „politische Provinz“. Doch die Wege, die am 2. Juni 1967 in der Krummen Straße 66/67 begonnen hatten, endeten nicht in Stuttgart-Stammheim oder in den Plattenbauwohnungen in der DDR, in denen RAF-Mitglieder mit Hilfe der Stasi neue Menschen geworden waren. Heute zelebrieren Viett und Ralf Reinders, ein Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, ihre Szene-Prominenz auf der revolutionären 1.-Mai-Demonstration oder in radikal-obskuren Polit-Debatten.

Die Wege, die vom 2. Juni ausgingen, endeten auch nicht in der Grünen-Bundestagsfraktion oder auf Professorenlehrstühlen an der Freien Universität. Viele, die der 2. Juni 1967 zu irgendetwas bewegt und motiviert hat, sind weiter unterwegs. Wolfgang Wieland etwa verbringt den 40. Jahrestag des tödlichen Schusses auf Benno Ohnesorg nicht in Berlin. Er will nach Heiligendamm.

Anlässlich des 40. Todestages Benno Ohnesorgs findet heute um 10 Uhr an der Deutschen Oper in der Bismarckstraße eine Kranzniederlegung statt. Eingeladen hat der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Am kommenden Montag um 19.30 Uhr liest der Autor Uwe Soukup in der Stadtteilbibliothek West, Nehringstraße 10, aus seinem jetzt erschienenen Buch „Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967“. sro

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