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© Doris Spiekermann-Klaas

Das Ende der Leere: Anschluss für den Hauptbahnhof

Der gläserne Bau steht noch immer allein zwischen weiten Brachflächen. Doch das Nichts nördlich der Invalidenstraße wird nicht von Dauer sein: Bald entstehen ein völlig neues Stadtviertel und ein markantes Hochhaus.

Ungefähr fünf Gehminuten und fünfzehn Autospuren sind es vom Nabel der hauptstädtischen Eisenbahnwelt bis dahin, wo der Kohl wächst und ein paar Tomaten an schlappen Zweigen so tun, als wollten sie vor dem Winter noch rot werden. Am besten, man bleibt genau im Durchgang der vom Zahn der Zeit geschwärzten Ziegelmauer stehen, die einst das Moabiter Zellengefängnis umgab und jetzt die Welten trennt. Der Blick zurück nach Osten schweift am Schlund des Tiergartentunnels vorbei, der immer neue Autos verschluckt und dafür andere ausspuckt. Dahinter das weite, brachliegende Umland des Hauptbahnhofs, der von hier – mehr als von jeder anderen Seite – nach einem unerwartet gelandeten XXL-Ufo aussieht. Ein Magnet, der Brachen zu Filetstücken werden lässt. Wendet man sich wieder nach vorn, also westwärts zur Lehrter Straße hin, flattern Meisen mit zartem Piep durch die Hecken, eine Krähe räumt in Ruhe einen Papierkorb aus. Hier versteht man auch als Eingeborener, was Berlin für Touristen so aufregend macht. Und die wirklich spannenden Zeiten beginnen in dieser Gegend gerade erst: Jetzt werden mehrere der noch rohen Filetstücke um den Hauptbahnhof verbraten.

Am kommenden Dienstag (18 Uhr, Stadtmission, Lehrter Straße 68) präsentieren das Bezirksamt, die Immobiliengesellschaft Vivico und die Architekten den Bürgern die Pläne für das Baugebiet an der Lehrter Straße. Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) ist optimistisch, die Nachbarn begeistern zu können: Die ausgewählten Büros Carpaneto Schöningh und Fat Koehl „denken kleinteilig und kiezorientiert“, sagt er. In Kombination mit den „nicht allzu hochpreisigen Vorstellungen“ der Vivico ergibt sich nach Ansicht von Gothe die Chance, dass das neue Stadtviertel den gewachsenen Moabiter Kiez mit dem völlig neuen und weitaus größeren, auf Jahrzehnte angelegten Projekt des Europa-Viertels an der Heidestraße verbindet. Das ist im Wortsinn gemeint, weil künftig eine Fußgängerbrücke die zwischen Lehrter und Heidestraße verlaufende Bahntrasse überspannen soll und im übertragenen Sinn, weil die kleinteilige Planung eher Baugruppen als große Projektentwickler anlocken dürfte. Zumal speziell der südliche Teil von Moabit keineswegs besonders arm sei. Der neue Kiez soll den alteingesessenen Nachbarn dank reichlich Grün ringsum nicht allzu sehr auf die Pelle rücken und mit Gastronomie, einem Stadtplatz und kleinen Gärten vor den Häusern zum Flanieren einladen.

Der Rückweg zum Hauptbahnhof führt die Lehrter Straße entlang, an der Baugrube eines von Anwohnern als überdimensioniert kritisierten Hostels vorbei, und weiter südwärts bis zur Invalidenstraße. An der vom Verkehr umtosten Ecke steht die erste Rohbau-Etage eines „Motel One“, das laut Gothe „ganz schön“ wird. Gegenüber, also direkt vor dem Bahnhofsdach, haben sich allerlei Kräutlein auf dem Baugrundstück der deutsch-spanischen Investoren Meermann-Chamartin angesiedelt. Die Finanzkrise hat deren Pläne für ein Hotel- und Kongresszentrum gebremst, aber jetzt soll es doch losgehen: Im Rathaus von Mitte ist von großer Eile die Rede und von einem Bauantrag Anfang 2010.

Schon am kommenden Freitag wird ein Vorhaben präsentiert, das den optischen Eingang zur künftigen Europa-City an der Heidestraße bilden soll: die Europazentrale des Mineralölkonzerns Total mit voraussichtlich 17 Stockwerken für 500 Beschäftigte. Sie wird ein paar Meter nördlich der Invalidenstraße an der Ecke errichtet, an der eine Shell-Tankstelle steht, die vom Durchgangsverkehr profitierte, ehe das südliche Ende der Heidestraße gesperrt wurde. Man sieht sie vom Europaplatz aus, dessen Tristesse laut Planer Ludger Kämereit aus der Stadtentwicklungsverwaltung einen tieferen Sinn hat: Für den Bau der Nord-Süd-Linie S 21 brauche man die Freifläche noch.

Unter dem Bahnviadukt schiebt sich die unendliche Taxischlange aus der Ella-Trebe-Straße hervor. Die Straße soll laut Kämereit im nächsten Jahr mit Bäumen aufgehübscht werden. Auch die „Washingtonplatz“ genannte Einöde auf der Südseite des Bahnhofs, aus der neben dem schlanken neuen Meininger-Hotel nur ein leerer Be-Berlin-Sprechblasenrahmen und ein provisorisches Café ragen wie die Überlebenden eines Asphalt-Tsunamis, soll mit „hochwertigen Natursteinen“ verschönert werden – und zwar so, dass die vom Eigentümer Vivico geplanten, aber mangels Interessenten auf irgendwann vertagten Hotel- und Büroneubauten wie der „Kubus“ ohne große Kollateralschäden errichtet werden können.

Ostwärts, zum Humboldthafen hin, beleben Zwischennutzer die Leere: Das „Traumtheater Salome“, Hans-Peter Wordarz’ „Palazzo“-Zelt und ein paar Kaninchen. Sie alle werden eines Tages weichen müssen, wenn der Liegenschaftsfonds die Grundstücke ums Hafenbecken verkauft hat. 12 000 Quadratmeter Land für 50 000 Quadratmeter Geschossfläche warten auf potente Investoren. Man beobachte den Markt und unternehme, je nach Weltlage, Mitte 2010 den nächsten Verkaufsversuch, heißt es. Der städtebauliche Entwurf sieht Hotels, Büros und Wohnungen vor, das Übliche halt.

Ganz im Südosten immerhin, kurz vor dem Bundespressestrand, wirbt ein Bauschild für das „grünste Bürogebäude Deutschlands“. Das Bild zeigt siebengeschossige Blöcke mit heller Fassade und vorspringendem Flachdach. Die weiteren Aussichten rund um den Hauptbahnhof sind also erfreulich. Aber die Tage der weiten Aussicht sind gezählt.

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