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Berlin: Das Geheimnis der Ostblockhütten

Mitten in Potsdam liegt die Russische Kolonie Alexandrowka aus dem 19. Jahrhundert Dieses Wochenende wird gefeiert – mit Theater, Lesungen und Markt

Ein sanftes Klopfen gegen die Küchenwand lässt plötzlich an einer weitverbreiteten Meinung zweifeln: Die Russische Siedlung Alexandrowka inmitten von Potsdam bestehe aus typischen Blockhäusern mit starken Hölzern aus Eichen und Birken. Denn die Geräusche deuten eher auf Lehm, Putz und Ziegel hin. Lutz Andres aus Haus Nummer 12 kommentiert die Verwunderung mit einem Lächeln. „Alles typisch preußisches Fachwerk mit einer Verkleidung aus märkischen Kiefernstämmen“, erklärt der Musiker, der seit 1998 eines der 14 Alexandrowka- Häuser bewohnt. Nur die kunstvollen Verzierungen an den Giebeln seien aus Eiche. „Alles andere ist eine große Illusion, wenn auch eine sehr gut gemachte.“

Diese und viele andere Geheimnisse dieser einmaligen und seit 1999 auf der Unesco-Welterbeliste stehenden Kolonie werden an diesem Sonnabend und Sonntag gelüftet. Dann öffnen zum Festival der Russischen Kultur viele Hausherren ihre Türen zu ihren Höfen und ihren meist großen Gärten. Der Eintritt ist frei, zwischen Musik, Theater, Lesungen und Markttreiben erfahren die Besucher viele Details aus der eigentümlichen Geschichte der Siedlung, die bis 1827 zu Ehren der preußischen Freundschaft zum russischen Zaren Alexander I. angelegt wurde. „Friedrich Wilhelm III. hat sie in Auftrag gegeben. Und er hat an alles gedacht“, erzählt Lutz Andres bei einem kurzen Rundgang. „Zu jedem Wohnhaus gehörten ein Stall mit einer Milchkuh, eine Wohnküche sowie Schlaf- und Kinderzimmer.“ Außerdem mussten alle zwölf russischen Sänger, die Friedrich Wilhelm III. rekrutiert hatte, vor ihrem Einzug verheiratet sein.

„Die Frauen kamen keineswegs nur aus Russland“, erzählt Andres, der sich immer wieder mit der Geschichte der Siedlung beschäftigt hat. „Die russischen Sänger sollten sich hier zwar wie zu Hause fühlen, aber möglichst rasch auch zu guten Preußen werden.“ Heute sei noch ein einziges Haus von einem direkten Nachkommen der ersten Siedler bewohnt. Aber Joachim Grigorieff aus der Nummer 7 besitzt keine Kinder, so dass irgendwann eine der letzten authentischen Traditionen enden dürfte. Ursprünglich durften die Kolonisten ihre Grundstücke weder verkaufen, verpachten oder verpfänden, sondern nur an männliche Nachkommen vererben. Heute befinden sich die meisten Häuser in Privatbesitz, wobei Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs als prominentester Bewohner gilt. Trotz vieler Veränderungen kann der Besucher auch heute noch russische Traditionen erleben. Die halten vor allem das direkt an der Kreuzung der beiden Hauptalleen befindliche und täglich ab 11.30 Uhr geöffnete Teehaus, das Museum in Haus Nummer 2 sowie die 1829 geweihte Alexander-Newski-Kirche auf dem nahen Kapellenberg wach. Doch auch in den meisten anderen Gebäuden stehen noch authentische Möbel, die wie in der Wohnung der Familie Andres durch wertvolle Antiquitäten ergänzt wurden. „In den beiden Küchen stehen wieder alte Kochmaschinen, auf denen sich früher die Frauen bestimmt gewärmt hatten“, erzählt Anne Andres, die in einem Raum mit winzigen Fenstern Klavierunterricht erteilt.

Durch sie fällt der Blick auf die weitläufigen Gärten, die Schritt für Schritt ihr einst vom Gartengenie Peter Joseph Lenné konzipiertes Aussehen zurückerhalten. Dessen Entwurf lehnte sich an ein Hippodrom an, durch das sich ein großes Andreaskreuz ziehen sollte. Obstbäume unterschiedlicher Sorten markierten die Grundstücksgrenzen. Heute wachsen auf einigen Flächen noch allerhand andere Bäume und Sträucher. Die wurden schon zu DDR-Zeiten in die Erde gebracht, als sich auf dem Areal zahlreiche Kleingärten mit Lauben und Schuppen befanden. Erst vor einigen Jahren liefen die letzten Pachtverträge aus.

Heute klicken vor den eigentümlichen Holzhäusern wieder viele Kameras der Potsdam-Touristen. Aber es könnten durchaus mehr sein, wie Lutz Andres meint. Er hat deshalb den Verein „Kultur Alexandrowka“ gegründet, der nun auch das zweitägige Festival organisiert. Die russischen Wurzeln dürften nicht ganz vergessen werden. Zusammen mit seiner Frau hat er deshalb für die Bewohner einen regelmäßigen Liederabend mit deutschen und russischen Volksweisen ins Leben gerufen. Der Chor lädt am Sonntag um 11.30 Uhr zum Mitsingen ein.

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