zum Hauptinhalt

Berlin: Das Geheimnis

Big Butterfly, Henry Moores Skulptur aus dem Becken der Kongresshalle, wird aufpoliert – mit Säure und Feuer. Das erste Werk am neuen Standort der Bildgießerei Noack

Ratlos pickt eine Krähe im leeren Wasserbecken vor dem Haus der Kulturen der Welt herum. Hier fehlt doch was? Und zwar was ziemlich Großes. Das geschwungene Echo der gebogenen Ex-Kongresshalle, oder besser: ihr kongenialer Partner. Ohne die Plastik „Large divided Oval: Big Butterfly“ des Bildhauers Henry Moore ist der Vorplatz an der John-Foster-Dulles-Allee wüst, unstrukturiert, leer.

Gut einen Monat ist es her, dass die wuchtige Bronzefigur von einem Autokran hochgehievt und unter Polizeischutz abtransportiert wurde. Am 14. Mai kommt sie wieder, für rund 160 000 Euro aufpoliert von der Bildgießerei Noack, die den zehn Tonnen schweren „Butterfly“ 1984 in Friedenau auch gegossen hat.

Seit mehr als 100 Jahren ist hier zwischen Fehler- und Varziner Straße der Sitz der wohl bedeutendsten Kunstgießerei Deutschlands. Im vollgekramten Werkstatthof liegen Paletten und Gussformen, Plastiken stehen herum. Stilisierte Stiere des Bildhauers Jos Pirkner, jeder über eine Tonne Bronze schwer. Sie gehören zu einer 14-köpfigen Büffelgruppe, die bald einen Firmensitz im Salzkammergut schmücken soll. Grob und lebend wie ein Baumstamm fühlt sich auch die blauweiß bemalte Skulptur an, die gerade am Lastkran hängt: „Volk Ding Zero“ von Georg Baselitz, im letzten Jahr hier gegossen, bekommt sie jetzt einen Sockel.

Den Bronzeguss, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, gibt es seit tausenden von Jahren. 1200 Grad heiß fließt sie bei Noack in die Formen. 30 Tonnen verbraucht die Kunstgießerei jährlich, dazu auch Silber oder Aluminium. Bronze sei zwar ein klassisches Material, aber ganz modern, sagt Hermann Noack junior. „Ein optimaler, haptisch und künstlerisch wertvoller Werkstoff.“

Schwer zu glauben, dass in der zugestellten, von heißen Öfen, Gipsschamottstaub und Schweißarbeiten eingefärbten Werkstatt der „Butterfly“ entstanden ist. Natürlich nicht in einem Stück, sondern aus 100 Einzelteilen, die zusammengeschweißt eine gespannte Oberfläche von 100 Quadratmetern ergeben. Die Nähte sollten unsichtbar sein und in der Skulptur drinnen sitzen. Und stundenlang die Nahtstellen der Bronze auszuklopfen, sei alles andere als ein Spaß, sagt Noack junior.

Aus der Bleißgießerei stammen auch andere bedeutende Kunstwerke. Hier wurden die Viktoria-Figur für die Siegessäule und die in den Fünfzigern rekonstruierte Quadriga für das Brandenburger Tor gegossen. Hier entstehen die Berlinale-Bären. Hier gingen und gehen seit 1897 Künstler wie Ernst Barlach, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Rainer Fetting oder Jonathan Meese aus und ein. Geführt wird die Bildgießerei Noack mit ihren 35 Mitarbeitern in der vierten Generation vom 44-jährigen Juniorchef. Sein Vater, Hermann Noack senior, 79, ist ebenfalls weiter mit von der Partie. Er hat ab 1959 eng mit Henry Moore zusammengearbeitet und die Entstehung des Schmetterlings vom ersten Augenblick an begleitet.

„Du musst jetzt wieder Flamme raufbringen. Das ist wichtig“, sagt der Seniorchef, kaum dass er die große Ziselierhalle am neuen Firmenstandort in Charlottenburg betritt. Die Großplastik, acht mal vier Meter, ist das erste Stück überhaupt, das Noack im direkt an der Spree gelegenen Neubau auf dem ehemaligen Kohlenlager des Kraftwerks Charlottenburg bearbeitet. Die kantige Betonburg zukünftiger Bronzegießerei ist noch im Innenausbau, überall dengelt es.

Die Patineurin legt den Lappen weg, mit dem sie gerade in kreisenden Bewegungen Säure auf den beuligen „Butterfly“ wischt und greift zu Gasflasche und Bunsenbrenner. Zischend trifft Flamme auf Metall. Der mächtige Schmetterling stößt sich erhaben mit Leere und Raum. Unten dunkel, oben heller, die Kanten goldig glänzend. Moores Prinzip der Hell- und Dunkelverläufe, zur Sonne glänzend, zum Boden schattig. Seniorchef Noack umkreist die Skulptur mit prüfendem Blick.

Frühestens in zwei Monaten zieht die Bildgießerei aus Friedenau hierher. Acht Millionen Euro hat sie in der Hoffnung auf einen anhaltenden Galerien- und Kunstboom hier im ersten Bauabschnitt investiert. Für den zweiten sind ein Skulpturengarten, ein Museum, Ateliers, Café und Kapelle geplant. Dass der stark mitgenommene, stellenweise schwarz oxidierte „Butterfly“ hier als erste Plastik eingezogen ist, freut den Senior, der Friedenau nur ungern adieu sagt. Berührend sei diese Plastik, sensationell gar. „Eine beeindruckende Formfindung.“

Trotzdem oder gerade deswegen haben sich vor dem Haus der Kulturen der Welt viele Spaziergänger auf ihr verewigt, ihren Namen, einen Spruch oder ein Datum richtig tief eingekratzt. Das musste runter vom Schmetterling. Auch der poröse, alte Lack, die schwarz oxydierten Stellen, der Großstadtdreck. Zwei Schleifer haben ein Zehntel der acht Millimeter dicken Wand der Skulptur runtergeholt. Jetzt hat die Bronze einen wunderbar kupfernen Glanz. Glatt und kühl fühlt sie sich an. Und ein bisschen porös, denn unzählige kleine Kerben sind geblieben. Fast ist der schmucke Schmetterling zu schade, um eingefärbt zu werden. Doch so geputzt, wie es jetzt ist, wollte der große Henry Moore sein Kunstwerk niemals haben. Der Charakter einer Bronzeplastik kommt erst durch die Patina.

„Bronze, Säure, Feuer – das ist das Geheimnis einer guten Patina“, sagt Hermann Noack, der Ältere. Was drin ist in der braunen Suppe, die eingebrannt die künstliche Farbgebung der Plastik bewirkt, verrät er nicht. „Betriebsgeheimnis“, grinst er. Mehr als 100 Jahre sind solche Rezepte alt. Und dann erzählt er, dass Henry Moore die Plörre im Topf immer Noacks „Secret Pot“ genannt hat. Die beiden mochten sich. Noack senior ist regelmäßig zum Bildhauer nach England gereist und der hat bei ihm zu Hause auf dem Sofa in Friedenau so manchen Abend ferngesehen. Noacks Güsse und Bearbeitung von Moore-Skulpturen wurden stilbildend für Künstler in der ganzen Welt. Bildhauer und die Bildgießerei haben sich gegenseitig berühmt gemacht.

„Jetzt müsst ihr aber höher mit der Farbe und dem Feuer“, sitzt der Senior wieder den beiden Patineurinnen im Nacken. Die Zeit drängt, nach der Patina muss mehrfach mit Acryllack über die Plastik gepinselt werden. Der „Butterfly“ ist die größte Plastik, die die Kunstgießerei am alten Sitz je gefertigt hat. In der 13 Meter hohen neuen Ziselierhalle gibt es jetzt keinerlei Größenbeschränkungen mehr. Dem alten Hermann Noack ist das nur recht. „Man denkt immer, die Kunst muss mal zu Ende sein. Stimmt nicht, es kommt immer wieder was Neues.“ Im Innern einer Plastik sei es übrigens schön, sagt Noack und zeigt auf die Einstiegsluke in den „Big Butterfly“, die während der Restaurierung offen steht. „Bisschen staubig, bisschen dunkel, aber schön.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false