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Berlin: „Das ist ja putzig!“

Nicht alle Zuschauer begreifen, was harte Männer am Modellsegeln fasziniert. Am Piano-See trafen sich gestern „Nerds“, um gnadenlos Bojen zu umrunden

Ein „Nerd“ ist ein Mensch, der ein eigenartiges Hobby hat, in dem er völlig aufgeht. Er schert sich nicht darum, was seine Mitmenschen davon halten, ihr Unverständnis für seine Leidenschaft ist ihm egal, denn in seiner Welt gibt es nur ihn und seine Passion. Meist wird er von seiner Umwelt für diese Einstellung belächelt. Mitunter wohlmeinend milde. Gelegentlich aber auch spöttisch verächtlich. Doch das kümmert ihn wenig, das lässt er nicht zwischen sich und seine Leidenschaft kommen.

Thomas Dreyer ist solch ein Nerd und die Passion, in der er ganz und gar aufgeht, der er in seiner Freizeit vielleicht mehr Aufmerksamkeit widmet als seiner Frau und den beiden Kindern, ist das Modellsegeln. Weil der Daimler-Crysler-Angestellte damit nicht alleine ist, weil es außer ihm noch etwa 250 Menschen in Köln, Hamburg und Frankfurt gibt, die allein beim Anblick der kleinen bunten Miniaturboote einen ähnlich verklärten Blick bekommen, hat er an diesem Wochenende ein Treffen organisiert. Am Pianosee am Potsdamer Platz veranstaltete er gestern den 1. Regio-Cup Ost der Modellsegler. Nur 18 Teilnehmer sind zur ersten Regatta erschienen. In insgesamt neun Durchläufen, bei denen sie eine mit roten Bojen abgesteckte Strecke auf dem See umrunden, ermitteln sie den Besten, quasi den König der Nerds.

Ursprünglich hatten sich 27 Teilnehmer angemeldet, sagt Dreyer und blickt dabei ein bisschen unzufrieden auf die spärliche Gruppe. Doch denen habe wahrscheinlich das wechselhafte Wetter oder die Familie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er selbst ist an diesem Wochenende aus Stuttgart angereist – mitsamt Familie. Aber die verbringt den Nachmittag lieber mit Shoppen. Das ist auch besser so, denn wenn man eins am Steg braucht, dann ist es Konzentration. Da kann man sich nicht von herumtobenden Kindern ablenken lassen.

Mit entsprechend konzentriertem Blick steht der 39-Jährige dann auch wenig später am Rand des künstlichen Gewässers und steuert per Fernbedienung sein knapp ein Kilogramm schweres Gefährt, das er „H20-Floh“ getauft hat. Er tippelt dabei nervös hin und her, und als er am Ende der Runde doch nur Zweiter wird, kann er seine Enttäuschung nicht verbergen. Nicht ohne Grund: „Ich habe einen Titel zu verteidigen.“

„Das ist ja putzig!“, kommentiert eine ältere Dame das Geschehen und ihre Stimme klingt dabei etwas zu niedlich, um ernsthafte Begeisterung zu vermitteln. Dreyer scheint solche Reaktionen gewohnt. Wenn er von dem unvergleichlichen Gefühl des Gemeinschaftserlebnisses, von der Geschicklichkeit der Daumen an der Steuerung und der Bootsbeherrschung spricht, zucken seine Mundwinkel immer ein wenig verschmitzt.

Er nennt das Ganze trotzdem Sport, obwohl er vermutlich weiß, dass das, was er da macht, für viele tatsächlich nicht mehr als Spiel und Spaß ist – in etwa so, wie wenn Familienväter mit der Modelleisenbahn ihrer Söhne spielen. Doch das kümmert ihn, den Nerd, eben wenig.

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