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Berlin: Das Jahresticket für 2007

Für 2006 ist der Zug abgefahren. Was wir mit ins neue Jahr nehmen wollen. Und was lieber nicht

ESSEN

Einsteigen, bitte : Deftige Hausmannskost. Gern auch in einer modernen Variation. Zum Beispiel Blutwurstravioli, wie sie im „Chez Gino“ in der Wrangelstraße in Kreuzberg serviert werden. Klingt schlimmer als es schmeckt. Zurückbleiben, bitte : Panasiatische Küche mit europäischen Einflüssen. Gibt’s mittlerweile nicht nur im „Pan Asia“ am Hackeschen Markt, sondern auch an jeder streng riechenden Imbissbude. Wan Tan ohne Tamtam schmeckt besser.

TRINKEN

Einsteigen, bitte: Wodka mit Cranberry-Saft. Hat zur Eröffnung der Fotoausstellung von Karl Lagerfeld im Postfuhramt an der Oranienburger Straße in Mitte den Besuchern die Wartezeit bis zum Eintreffen des Gastgebers verkürzt. Und gesund ist der Drink auch noch. Kann man sich zumindest einreden. Zurückbleiben, bitte: Prosecco aus der Dose. Wer schon Blech redet, muss nicht auch noch daraus trinken.

TANZEN

Einsteigen, bitte: Dinos der Berliner Clubszene. Die Anarcho-Zeiten mit Tanz in ostig-rostigen Verschlägen sind zwar vorbei. Und Clubbetreiber klagen, dass es schwierig geworden ist, Räume regulär zu mieten. Manchmal klappt es dann aber doch. Und so eröffnen schon bald an der Friedrichstraße in Mitte das Cookies und an der Köpenicker Straße, im ehemaligen Heizkraftwerk, der Tresor. Auferstanden aus Clubruinen. Zurückbleiben, bitte : Pleitegeier. Mehr als 1000 Partygäste wollten die Goya-Betreiber in ihrem riesigen Edelclub am Nollendorfplatz begrüßen. Täglich. Nach sechs Monaten kam kaum noch wer. Trotz freiem Eintritt war alle Mühe umsonst.

MENSCHEN

Einsteigen, bitte: Schauspieler Jürgen Vogel. Er hat in diesem Jahr in ein paar beeindruckenden Filmen mitgespielt. Und weil er in „Der freie Wille“ glaubhaft in die Rolle eines Vergewaltigers geschlüpft ist und sich dafür sogar nackig gemacht hat, wurde er bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Angezogen hätte er natürlich auch gewonnen. Zurückbleiben, bitte: Schauspieler Christian Ulmen. Er war der wahre „Herr Lehmann“ aus Kreuzberg, aber dass er ins beschauliche Potsdam gezogen ist, verzeihen wir ihm nicht. Schließlich ist er ein Berliner Elementarteilchen.

TIERE

Einsteigen, bitte : Großstadtbestien. In Bayern entledigt man sich unliebsamer Bären. In Berlin bietet man Wildtieren kunstvolle Zufluchtsorte. So wie dem Fuchs, der auf dem Gelände des Tacheles an der Oranienburger Straße einträchtig mit den dort ansässigen Kulturschaffenden lebt. Mitte ist das neue Reinickendorf. Zurückbleiben, bitte : Handtaschenhunde. Dank Paris Hilton glubschen sie auch in Berlin aus jeder zweiten Louis-Vuitton-Fälschung. Dann schon lieber Ratten aus Punk-Jackentaschen.

SENSATIONEN

Einsteigen, bitte: Die Fußball-WM. Sie hat gezeigt, dass wir Berliner doch auch was anderes können als meckern. Arm, aber sexy? Quatsch! Happy und sexy. Zurückbleiben, bitte: Die Erotikshow Belle et Fou. Da haben sich welche wie Jürgen Vogel nackig gemacht. Reichte aber nicht mal für einen Blumentopf.

MACHER

Einsteigen, bitte: Unternehmer, die Massen bewegen. Das Jammern muss ein Ende haben, dachte sich Geschäftsmann Rainer Schaller. Und ließ in diesem Jahr die Loveparade wieder aufleben, die er ganz allein finanzierte. Geld bewegt die Techno-Welt. Zurückbleiben, bitte : Urbane Penner und digitale Bohèmiens. In Sachen clevere Selbstvermarktung sind die professionellen Latte- Macchiato-Trinker schon immer kreativ gewesen. Sitzen in angesagten Cafés wie dem St. Oberholz in Mitte vor ihren Laptops und nennen das Arbeit. Können sie auch, solange Papa ihnen eine Eigentumswohnung kauft und Oma ihnen ein Einfamilienhäuschen in der westdeutschen Provinz vererbt.

IDOLE

Einsteigen, bitte: Altrocker. In punkto Professionalität gibt es bei Johannes Heesters nichts zu bemängeln. Der steht Schlag acht auf der Bühne und zieht sein Programm durch. 103 und voll dabei. Zurückbleiben, bitte: Jungrocker. Mit der Zuverlässigkeit hat es Pete Doherty (Foto) nicht so. Im zurückliegenden Jahr kündigte er dreimal einen Auftritt in Berlin an. Um stets in letzter Sekunde aus fadenscheinigen Gründen abzusagen. Keine Macht den Drogen!

MODE

Einsteigen, bitte : Röhrenjeans. Doherty hat einige davon im Kleiderschrank. Und die Jungs in Mitte tragen sie auch. Endlich zeigen Männer mal Bein. Zurückbleiben, bitte: Gürteltaschen. Die Weddinger Jugend geht nicht mehr ohne. Dabei sind sie nur für BVG-Kontrolleure und Prostituierte erlaubt. Arbeitskleidung muss Arbeitskleidung bleiben.

MUSIK

Einsteigen, bitte: AushilfsCowboys. Erst countryfizierten The Boss Hoss mit Berlin, dann den Rest der Republik und machen auch weiter, wenn das Unterhemd durchgeschwitzt ist. Zurückbleiben, bitte: Aushilfs-Rapper. Bushido hat sich in der „Bravo“ gebrüstet, 500 Frauen glücklich gemacht zu haben, davon 200 im Puff. Fragt sich nur, womit. hey/sel/ling

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