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Berlin: Das Jüdische Museum wirkt wie ein Magnet

Wie machen die das? Mit 2000 Besuchern täglich ist der Libeskind-Bau ein Jahr nach seiner Eröffnung fast so beliebt wie der Pergamon-Altar

Von Amory Burchard

Im Fernsehen hat er es zum ersten Mal gesehen, dieses verrückte Gebäude des jüdischen Architekten Libeskind. Dann hat er mit Bekannten darüber gesprochen, die schon mal im neuen Jüdischen Museum in Berlin waren. Die sagten: „Fang unbedingt ganz von vorne an, im Mittelalter.“ Jetzt sitzt der 77-jährige Mann aus Münster erschöpft auf einer Bank zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert und versucht, aus dem Fenster zu gucken. Vor ihm ein Bündel schmaler gläserner Schlitze. „Was sollte das noch gleich symbolisieren?“, fragt der Mann. Ach ja, die Zerrissenheit der jüdischen Geschichte, erinnert er sich und will noch ein bisschen sitzen bleiben. Um darüber nachzudenken.

Das Jüdische Museum hat etwas, das die Menschen anzieht. Viele sagen bei dieser Stippvisite ein Jahr nach der Eröffnung, sie seien nur kurz in Berlin, aber dieses Haus wollten sie unbedingt sehen. So denken 2000 Menschen am Tag, knapp 750 000 im Jahr. Das Jüdische Museum hat es in 12 Monaten geschafft, als Publikumsliebling mit dem Pergamonmuseum fast gleichzuziehen. Für Sonja Koppers, eine 15-jährige Realschülerin aus Xanten, ist vollkommen klar, was das Jüdische Museum so interessant macht. „Weil es in Deutschland nicht mehr so viele Juden gibt und jeder etwas über ihre Geschichte wissen will – und wegen des 2. Weltkrieges“, sagt sie.

Viele der zahllosen Schülergruppen, die einen großen Teil der Besucher ausmachen, sind aus eigenem Antrieb gerade in dieses Museum gekommen. „Wir konnten wählen“, sagt die 16-jährige Svenja Büttner aus dem niedersächsischen Schesel. Fast alle Mädchen der Klasse hätten sich für das Jüdische Museum entschieden, die Jungen für das Technik-Museum. Jetzt läuft Svenja etwas verloren durch die Ausstellung. Länger stehen geblieben sei sie nur vor einem Computer, an dem man darüber abstimmen konnte, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Das Mädchen stimmte mit Ja. Andere Schüler ziehen mit Mitarbeitern des Museums durch die Räume und Zeiten. Dort, wo es um die Emigration geht, fragt eine Frau die Jugendlichen, wohin sie gegangen wären. „USA, England, Schweden“ – viele melden sich.

Erwachsene Besucher kommen mit Fragen, die sie schon lange beschäftigt haben. Hiltrud Jagodics aus Wertheim am Main interessierte sich für die Entstehungsgeschichte jüdischer Gemeinden, ihr Mann Viktor mehr für den Holocaust. Das Paar, beide Anfang 40, ist beeindruckt, wie detailliert die jüdisch-deutsche Geschichte dargestellt wird. Aber ein paar Fragen blieben doch offen: „Warum bombardierten die Alliierten nicht die Zufahrtswege zu den KZ?“, fragt sich Viktor Jagodics. Die beiden verlassen das Museum erleichtert: „Wir hatten erwartet, dass es hier mehr Anklage gibt.“

Rachel und Ami Margalit werden mit ganz anderen Fragen zurück nach Israel kommen. Sie haben Freunde, die in der Nazizeit aus Deutschland kamen – Ärzte und Anwälte. In Palästina wurden sie zu Landarbeitern. „Wir haben hier ihre Wurzeln gefunden“, sagt der 70-jährige Ami Margalit, der schon in Palästina geboren wurde. Seine Frau versteht nicht, warum es keine Erklärungen auf Hebräisch gibt. Schließlich besuche jeder israelische Berlin-Tourist das Museum. Dass gut zwei Drittel der Besucher Deutsche sind, darunter sehr viele junge Menschen, überrascht die Margalits. Und es freut sie: Es könnte helfen, dass sich die schrecklichen Kapitel der Geschichte nicht wiederholen.

Am morgigen Freitag feiert das Museum Geburtstag. Bei freiem Eintritt gibt es von 10 bis 22 Uhr ein buntes Programm um das Haus in der Lindenstraße 9-14 (Kreuzberg). Infos unter Tel.: 308 785 681 oder www.jmberlin.de

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