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Berlin: Das Jungbrunnen-Hormon

In den USA gibt es DHEA im Supermarkt, in Deutschland verschreiben es Anti-Aging-Ärzte. Es soll wach machen, straffe Haut und Lust auf Sex, aber Mediziner warnen. Alles Abzocke?

Wer im Internet das Stichwort „DHEA“ eingibt, hebe die Arme und schütze sich vor der Flut. DHEA steht für Dehydroepiandrosteron – und im übertragenen Sinn für die Hoffnung auf ewige Jugend. Das Jungbrunnen-Hormon, so nennen es die Anti-Aging-Ärzte. Die Internetwerbung sieht zum Bespiel so aus: DHEA steigere das physische und psychische Wohlbefinden, es bekämpfe das Altern, es verlängere das Leben von Tieren um die Hälfte. Und es ist eine „individuelle Gesundheitsleistung“, sprich: Man muss dafür zahlen.

DHEA wurde schon in den 30er Jahren entdeckt, von Adolf Butenandt, einem deutschen Wissenschaftler. Seit zehn Jahren wird es synthetisch hergestellt und in den USA als Nahrungsergänzungsmittel frei verkauft. In Deutschland ist der Verkauf allerdings strafbar. Es kann nur von einem Arzt verschrieben werden, der es über eine internationale Apotheke bezieht – aber die Deutschen nehmen es trotzdem. Sie lassen es sich aus den USA mitbringen oder bestellen es im Internet. Wie viele Deutsche DHEA nehmen, ist nicht erhoben. Aber DHEA ist gefährlich.

In den USA ist die Diskussion um die Sicherheit gerade wieder entbrannt. Im Juni forderten drei Senatoren im Kongress die Verbannung aus dem Lebensmittelregal. Und das, obwohl es erst 2004 zu einem Deal zwischen Industrie und Parlament gekommen war: Der Verkauf von 18 ähnlichen Substanzen wurde verboten, für DHEA aber eine spezielle Ausnahme gemacht. Die US-Industrie verdient jährlich immerhin 50 Millionen Dollar an DHEA. Dabei führen das Internationale Olympische Komitee und die World Anti-Doping Agency es auf der Liste der verbotenen Substanzen.

„DHEA ist ein anaboles Steroid, damit gehört es in die Hände von seriösen Experten“, sagt Professor Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin an der Charité, Campus Benjamin Franklin. Es sei ein Skandal, dass DHEA in den USA frei verkauft werde. „Diese Substanz hat ein erhebliches Hormon-Potenzial. DHEA ist ein Vorläuferhormon, aus dem andere Steroide hergestellt werden: männliche und weibliche Geschlechtshormone wie Testosteron und Östrogene.“ Testosteron steigert unter anderem das sexuelle Verlangen, fördert Bartwuchs und Muskelaufbau. Östrogen beeinflusst Brustgröße, Fettverteilung und Straffheit der Haut.

DHEA, so heißt es, hat grundsätzlich keine extremen Nebenwirkungen – wenn die Einnahme korrekt dosiert ist. Zu hohe Dosen können allerdings gefährlich werden. Besondere Vorsicht ist bei Frauen geboten. Nehmen die zu viel DHEA, dann sprießen die Haare schon mal im Gesicht, verschwinden aber auf dem Kopf, die Haut erlebt eine Renaissance der jugendlichen Akne-Zeit – Auswirkung des vermehrten Testosterons. Ein Fall aus den USA hat auch deutlich gemacht, dass Krebspatienten vorsichtig sein sollten. Nach einer Operation an der Prostata, in der ein Karzinom entfernt wurde, nahm ein Patient Mega-Dosen des Steroids. Der Krebs flammte wieder auf. „Theoretisch ist ein Wachstum von hormonbedingten Tumoren unter dem Einfluss von DHEA möglich“, sagt Bruno Allolio, Leiter des Schwerpunktes Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie an der Medizinischen Uniklinik Würzburg. Östrogene förderten Brustkrebs und Androgene Prostatakarzinome. Wo und wie genau DHEA wirkt, ist aber immer noch nicht geklärt. Ärzte warnen, dass die Einnahme deshalb zwangsläufig nur unspezifisch möglich sei – und wer weiß, was das auf lange Sicht anrichtet?

Im jugendlichen Blut kommt DHEA reichlich vor, aber nach dem 30. Lebensjahr nimmt die Konzentration kontinuierlich ab – bei 70- bis 80-Jährigen bis auf zehn bis 20 Prozent des früheren Werts. „Warum es im Alter immer weniger gibt, das versteht man nicht so genau“, sagt Pfeiffer. Und exakt hier liegt die Kontroverse: Bedeuten niedrigere DHEA-Spiegel im Alter einen Hormonmangel – oder handelt es sich um eine sinnvolle Drosselung, um andere Veränderungen im Alter auszugleichen?

Alexander Römmler, Gynäkologe, Endokrinologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anti-Aging-Medizin, ist ein Vertreter der Hormonmangel-These – und deshalb der Ansicht, der Mensch dürfe, ja sollte seinem Körper DHEA zusätzlich zuführen. Der Körper verwelke im Alter und produziere dann auch weniger Hormone. „Da wir heutzutage aber immer länger leben, können wir dann viele Jahre an chronischen Erkrankungen leiden“, sagt Römmler. Für Anti-Aging- Ärzte wie ihn sind Hormone der Schlüssel für die Verbesserung des Lebens im Alter.

Charité-Arzt Pfeiffer sieht das anders. „Altern ist genetisch bedingt. Dafür gibt es handfeste Daten. Es ist ein Programm, das alle Komponenten des Körpers betrifft, und kann nicht durch Hormone aufgehalten werden.“ Dass der Körper im Alter weniger DHEA produziere, könnte also gewollt sein. Warum zum Beispiel schrumpft jene Zone in der Nebenniere, in der das DHEA produziert wird, mit den Jahren, während zwei andere Bereiche, in denen die Hormone Cortisol und Aldosteron hergestellt werden, aber ein Leben lang gleich groß blieben?

Was DHEA wirklich kann, damit haben sich immer wieder kleinere Studien beschäftigt. „Menschen, die das Hormon krankheitsbedingt nicht bilden, profitieren eindeutig davon, dass ihnen ein synthetischer Ersatz gegeben wird“, sagt Professor Bruno Allolio. Libido und Leistungsfähigkeit steigerten sich. Auch bei Menschen mit Depressionen scheinen die Kapseln Wirkung zu zeigen. „Insgesamt sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeiten aber eher enttäuschend, wenn man sie mit den Versprechen auf diversen Internetseiten vergleicht“, meint Allolio. Und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie fasst in einer Stellungnahme für die Hormontoxikologie-Kommission zusammen: „DHEA hat offensichtlich das Potenzial, Zustände mit eingeschränkter bzw. gestörter Stimmung und Sexualität zu verbessern, führt jedoch zu keiner weiteren Verbesserung bei Personen mit normalem oder nahezu normalem Spiegel.“

Vertreter der Anti-Aging-Medizin wehren sich. „Nur weil wir noch nicht wissen, wie etwas genau funktioniert, darf das nichts taugen? DHEA darf den Leuten auf dieser Basis nicht vorenthalten werden“, findet Römmler. „Wir leben heute und können nicht noch zehn Jahre warten, bis alles genau untersucht wurde.“ Denn immer wieder kämen ältere Patienten zu ihm, die unter Müdigkeit, einem Leistungsknick oder leichter Depressivität leiden und denen er mit DHEA helfen kann – zumindest solange keine andere Krankheit dahintersteckt und der Spiegel des Steroids im Blut niedrig ist.

Aber wann ist ein Hormonspiegel eigentlich niedrig? „Normale DHEA-Werte sind jene, die gesunde Menschen entsprechend ihrem Alter durchschnittlich im Blut haben“, sagt Charité-Arzt Pfeiffer. Liegen die Level im unteren Bereich des Durchschnitts, dann sind sie niedrig. Frauen in jugendlichen Jahren haben einen DHEA-Spiegel im Blut um die 2,5 Mikrogramm pro Milliliter, Männer um die 3,5. Anti-Aging-Mediziner versuchen, mit variierenden Dosen im Milligramm-Bereich ihre älteren Patienten auf jugendliche Werte einzustellen – sie steigern die Konzentrationen um das Fünf- bis Zehnfache. Allolio warnt: „Man kann nicht von den Hormonspiegeln allein ausgehen, sondern muss sie im Zusammenhang mit den Beschwerden sehen.“ Die Projektionsfläche auf das Medikament sei riesig. „Es bietet eine Menge Raum für Placebo-Effekte“, meint Allolio. „Wer damit falsch umgeht, zockt seine Patienten ab.“

Wiebke Heiss

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