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Berlin: Das Kreuz mit den Stimmungen

Bis zum Schluss sind viele Wähler unentschlossen. Zwei von ihnen haben wir im Wahlkampf begleitet

Politik? Wahlkampf? Für Christian Bachem ist beides eine spannende Nebensache. Bachem berät Unternehmen in allem, was mit dem Internet zu tun hat. Er ist 39, hat eine kleine Firma mit den Namen Companion in Charlottenburg. Er ist viel unterwegs. Und er hat zwei Söhne. Deren Zukunft ist einer der Gründe, warum Bachem Politik spannend und wichtig findet. Seine Kinder hat er zweisprachig erzogen – deutsch und englisch. Wer weiß, wie viel Zukunft Deutschland zu bieten haben wird, im Vergleich zu Amerika?

Christian Bachem war und ist einer von denen, die den Wahlkampf in der Erwartung miterlebt haben, dass sich vieles ändern würde. Zum ersten Mal tendierte der notorische Grünen-Wähler zur einer Machtwechsel-Entscheidung. Die rot-grüne Bundesregierung – so sah er das Mitte Juli – war fertig. Sie hat Mut zu Reformen gezeigt, aber Fehler über Fehler gemacht. Subventionsabbau, Strukturwandel – da sei nichts geschehen. Der grüne Held Fischer sei dabei, „sich selbst zu karrikieren“, fand Christian Bachem.

Groll und Wechselbereitschaft – das ist eine verbreitete Stimmung des Sommers. Holger Schaal, Mitte 30, auch er selbständiger Unternehmer aus der Internet-Branche, weiß bloß, dass er wählen will. Wen er wählen wird, ist offen. Holger Schaal hat eine Freundin, viel Ehrgeiz, noch mehr Verantwortungsgefühl für das kleine Unternehmen mit dem Namen Kreativhaus in einer Kreuzberger Fabriketage. Er ist einer, mit dem man ideologiefrei diskutieren kann. Rot-Grün im Juli – das ist für ihn eine Regierung, die einiges in Bewegung, dabei aber das Land in eine finstere Stimmung gebracht hat. Hartz IV? „Das Anspruchsdenken ist geblieben“, sagt Holger Schaal. Das sagt einer, der im T-Shirt arbeitet und meistens nicht weiß, wann er nachts aus der Etage herauskommt. Immerhin steht in der offenen Küche des Kreativhauses eine Espressomaschine.

Holger Schaal ist von den Sympathien her ein Rot-Grüner, aber er sagt Mitte Juli von Rot-Grün: „Wir beschäftigen uns mit dem Teil der Bevölkerung, der zum Wachstum nichts beiträgt.“ Bürokratieabbau, Steuerreform – nötig wäre es. Zuzutrauen sei es aber nur einer schwarz-gelben Regierung. Mit einer Kanzlerin Merkel. Die habe eine „konsequent steile Karriere“ geschafft. Für einen, der ein Unternehmen führt, ist das ein Kriterium.

Seltsam, wie wenig in dieser Zeit zu bleiben scheint von Rot-Grün. Keiner der grünen Erfolge sei von Dauer, sagt Christian Bachem. Windenergie? Vor der Küste, okay. Aber so, wie die Grünen sie in die Landschaft gebaut haben – nein. Dosenpfand? Jürgen Trittin habe sich verrannt. Verbraucherschutzministerin Renate Künast? Gute Ansätze – aber sie sei unsichtbar geworden. Andererseits: Dass die CDU wieder ein Landwirtschaftsministerium will, findet Bachem „furchtbar“. An Angela Merkel vermisst der potenzielle Wechselwähler „Profil“. Mit den Verlustängsten notorischer Rot-Grün-Anhänger kann er nichts anfangen. Angst vor Günter Beckstein? Solche Politiker seien doch Schafe im Wolfspelz, sagt Bachem.

Einen Monat später hat Edmund Stoiber die Ostdeutschen geärgert. „Typischer Wahlkampfkrempel“ sei das, sagt Holger Schaal. Zu Merkels Kompetenzteam sagt er: „Hm.“ Er habe viel gearbeitet, wenig auf den Wahlkampf geachtet. Das bevorstehende Fernsehduell erwartet er mit einer gewissen Spannung: Das „könnte den Ausschlag geben“, meint er.

Christian Bachem hat zum selben Zeitpunkt den Eindruck, „dass Merkel die Oberhand gewinnt.“ Paul Kirchhof im Kompetenzteam – das beeindruckt ihn. Er zeigt Wechselbereitschaft und waches Interesse an den Ideen der Leute um Merkel. Alte Sympathien scheinen sich aufzulösen. Fischer? „Ziemlich unerträglich wegen seiner Prosa, seines Stils“, sagt Bachem. Bei Schröder werde allenfalls einigen Sozialdemokraten warm ums Herz. Aber Merkel wählen? „Ich bin erstmals an einem Punkt, wo ich darüber nachdenke.“

Holger Schaal sieht den Betrieb weiterhin mit müden Augen. Er fragt sich angesichts der Plakate, „was die mir sagen wollen“. Bei Mitarbeitern nimmt er eine „weit verbreitete Unentschlossenheit“ wahr. Die Woche vor der Wahl verbringt der Jung-Unternehmer in Kroatien. Der Urlaub hat ihn mit Zuversicht erfüllt: Er war offen für etwas Neues, aber er will nun doch wieder Rot-Grün wählen. Er glaubt, dass über allem innenpolitischen Zank die Außenpolitik wichtiger ist. Und er glaubt zu wissen, was er da an Schröder hat.

Auch Christian Bachem hat sich entschieden. Er habe mit einem radikalen Schritt geliebäugelt, sagt er. Doch der CDU sei es nicht gelungen, sich klar zu positionieren. Und Professor Kirchhof – der Hoffnungsträger der Union – sei schon dabei, halb in der Versenkung zu verschwinden. Bachem will erneut Rot-Grün wählen. „Schweren Herzens“, sagt er. Aber das Ergebnis zählt.

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