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Berlin: Das Mädchen und der Tod

Stefanie Bullmann macht eine Ausbildung zur Bestatterin. Der Lehrberuf ist neuerdings beliebt. Allein Berlins größtes Unternehmen erhielt 1000 Bewerbungen

Im Fuhrpark stapeln sich die Särge. Modell Toskana, eher klein, aus Pappel, ist dunkelbraun lackiert und noch folienverpackt. In Deutschland ist das Exemplar nicht der Renner. Mehr Anklang findet der klassische Eichensarg in Körperform. „Wir nennen ihn auch Vampirsarg oder Geigenkasten“, sagt Stefanie Bullmann. Die 19-jährige Berlinerin macht seit knapp drei Jahren eine ungewöhnliche Ausbildung, in wenigen Monaten darf sie sich offiziell „Bestattungsfachkraft“ nennen. Lehrstellen bei Bestattungsunternehmen scheinen so beliebt zu sein wie nie. Als im August 2003 die staatlich geregelte Berufsausbildung zur Bestattungsfachkraft eingeführt wurde, hatte Ahorn-Grieneisen, der größte Ausbilder der Branche, nur einen einzigen Bewerber. In diesem Jahr wollten 1000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz; nur zwanzig von ihnen konnten angenommen werden. Dabei gilt der Beruf „Bestatter“ allgemein noch immer als gruselig.

Die riesige Halle des Unternehmens Ahorn-Grieneisen, in der sich die verschiedensten Sargmodelle befinden, sieht eher aus wie das Möbellager eines Einrichtungshauses. In der Luft liegt der Geruch von Sägespänen, an der Wand lehnt ein orangefarbenes Stapelfahrzeug. Der Raum ist hell erleuchtet. In den Regalen stehen Särge, in kleinen Pappkartons befinden sich Urnen.

An das Umfeld im Fuhrpark hat sich Stefanie Bullmann gewöhnt, sie hält sich hier täglich auf. Mit dem Tabuthema Tod hatte sie schon vor ihrer Ausbildung keine Probleme. Da ihre Mutter Krankenschwester ist, wird in der Familie viel darüber gesprochen. Im Alter von 15 entscheidet sich Stefanie für den Beruf Bestatterin – obwohl sie bis dahin noch nie einen toten Menschen gesehen, geschweige denn berührt hat. „Bestatter müssen die Toten einbetten, einkleiden und schminken. Davor hatte ich Angst: Wie fühlt sich das an? Aber es ist alles gar nicht so schlimm“, sagt Stefanie heute.

Neben ihr bewerben sich im Jahr 2004 noch sieben weitere Interessenten beim Unternehmen Ahorn-Grieneisen. Alle werden angenommen. Der Beruf Bestatter ist zu diesem Zeitpunkt nicht gerade angesagt. Wer möchte sich schon mit toten Menschen beschäftigen und täglich in die trauernden Gesichter von Angehörigen blicken?

Stefanie hat lange, rötlich-braune Haare. Sie trägt einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd. Keine Spur von „Gruftie“. Was Stefanie an dem Beruf fasziniert? Der soziale Bereich, sagt sie. Ihr geht es darum, mit Angehörigen zu sprechen, die Verbliebenen zu trösten und ihnen auf dem Weg der Trauerbewältigung zu helfen. „Wer zu uns kommt, ist angespannt und unsicher. Die Kunden wissen nicht, was auf sie zukommt. Wenn ich ein paar Stunden mit ihnen rede, löst sich ihre Anspannung. Für mich ist das ein unglaubliches Erfolgserlebnis“, sagt Stefanie.

Dies sind die hellen Seiten des Jobs mit dem düsteren Ruf. Aber weshalb die Jugendlichen ihn gerade in diesem Jahr verstärkt für sich entdecken, ist Stefanie schleierhaft. Ausbilder Tim Jütz erklärt sich den plötzlichen Ansturm mit dem veränderten Berufsbild in der Öffentlichkeit: „Die Zeiten, in denen der Bestatter nur Grab-Ausheber war, sind vorbei. Der Beruf ist vielseitiger“, sagt er und spricht damit den veränderten Umgang der Menschen mit Begräbnissen an. „Unsere Kunden sind in den vergangenen Jahren anspruchsvoller geworden. Die Menschen wünschen sich individuelle Beerdigungen. Und die können wir ihnen bieten.“ In der Verabschiedungshalle finden sich nun häufig Motorräder, Reisegepäck oder Kuscheltiere neben den Särgen – je nachdem, wie es dem letzten Wunsch der Verstorbenen entsprach. Die Bestattungsfachkräfte sind für die Gestaltung der Verabschiedungshalle ebenso zuständig wie für die Überführung der Särge und die Säuberung der Toten. Das Handwerkszeug bekommen sie in den drei Jahren ihrer Ausbildung. Feinfühligkeit im Umgang mit den Angehörigen ist wichtig, sie müssen sich mit den behördlichen Strukturen auskennen und mit Rechtsfragen rund um das Thema Tod.

Mit der Bestattung eines Verstorbenen ist die Arbeit getan, Bestatter kümmern sich auch um Wohnungsauflösungen und machen Ehefrauen darauf aufmerksam, dass sie Ansprüche auf Witwenrente haben. Sie müssen kenntnisreich beraten, die Holzarten der Särge kennen, die richtige Handhabung der Fahrzeuge, mit denen die Särge überführt werden.

Auf diese Vielseitigkeit sind viele Jugendliche nicht zuletzt durch die amerikanische Fernsehserie „Six Feet Under“ aufmerksam geworden. Die lief bis März diesen Jahres im deutschen Fernsehen und porträtiert eine Bestattungsunternehmerfamilie. Die Serie gilt als cool, ist bekannt für ihren schwarzen Humor. Ob das Leben eines Bestatters auch in der Realität so witzig ist? „Wie bei Six Feet Under geht es bei uns nicht zu“, sagt Tim Jütz. „Bei der Arbeit sind wir professionell. Aber wir sind ganz normale Menschen, auch wir dürfen lachen“, findet der Ausbilder.

Professionell bedeutet nicht herzlos. Bestatter geraten immer wieder in Situationen, in denen sie sich mit besonders tragischen Fällen auseinandersetzen müssen. Tote Kinder und Jugendliche lassen Bestatter genauso wenig ungerührt wie Tragödien durch Autounfälle oder schwere Krankheiten. „Wenn ein Kind stirbt, nimmt das bei uns im Haus alle mit. Die Stimmung ist dann ganz anders, alle sind stiller als sonst“, sagt Stefanie. Sie denke viel über den Tod nach. „Ich überlege mir: Was, wenn im Sarg ein Bekannter von mir liegen würde? Es ist wichtig, sich zu erinnern, aber man darf nicht jeden Fall mit nach Hause nehmen.“

Als frustrierend empfindet sie den Beruf nicht – im Gegenteil: Stefanie ist überzeugt, die drei Ausbildungsjahre hätten sie in ihrer Persönlichkeit weiter gebracht. Sie blickt aus dem Fenster in den Sonnenschein. Der Himmel ist tiefblau. „Den Tod“, sagt sie, „begreift man erst, wenn man ihn erlebt. Ich habe durch meine Ausbildung keine andere Einstellung zum Tod bekommen, sondern eine andere zum Leben. Ich habe gelernt, wie wertvoll das Leben ist. Darum genieße ich es und freue mich einfach, hier sein zu dürfen.“

Die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft dauert drei Jahre. Wer sich bewerben möchte, sollte einen mittleren Schulabschluss mit einer Durchschnittsnote von mindestens 3,0 oder aber Abitur haben. Außerdem erwartet das Unternehmen Ahorn-Grieneisen ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Organisationstalent und Selbstständigkeit. Weitere Informationen unter: www.ahorn-grieneisen.de

Katja Görg

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