zum Hauptinhalt

Urban Art im alten DDR-Gebäude: Das SEZ wird zur Künstlerspielwiese

Einst war es Vorzeigebau für körperliche Ertüchtigung, jetzt macht sich dort die Szene breit. Im Sport- und Erholungszentrum in Friedrichshain stellen 130 internationale Künstler kritische Urban-Art-Werke aus.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hatte bei der Eröffnung des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) Friedrichshain im März 1981 sicher nicht gedacht, dass hier 31 Jahre später einmal Künstler kritische Bilder und Installationen ausstellen, im Hintergrund Hip-Hop und Reggae läuft und der 28-jährige argentinische Künstler Alaniz mit einem großen Pinsel bewaffnet die Außenwand des SEZ gestaltet. Doch genau das ist passiert. „Silence is a lie“ heißt die Ausstellung, die Besucher sich ansehen können – wenn sie denn den richtigen Eingang wählen.

„Es passiert immer wieder, dass die Leute mit ihren Sportsachen zum Haupteingang kommen und dann ganz verwundert sind, dass sie umgeben sind von Bildern und Installationen und nicht von Sportgeräten“, sagt Alesa Mustar, 31, eine der Organisatoren der Ausstellung. Einige Besucher würden dann auch bleiben und durch die Ausstellung schlendern, bevor sie dann doch den Seiteneingang zu den Sporträumen nehmen.

Zu DDR-Zeiten war das SEZ Friedrichshain ein beliebtes Schwimm- und Wellenbad. Bis 1990 kamen jährlich bis zu 1,6 Millionen Besucher. Jetzt kann dort Tischtennis, Beachvolleyball und Badminton gespielt oder in der Sauna entspannt werden. 2002 wurde das SEZ vom Land Berlin geschlossen, weil die Betriebskosten zu hoch waren. Rainer Löhnitz, ein Unternehmer aus Sachsen, hatte dem Land Ende 2003 das SEZ für einen symbolischen Euro abgekauft und anschließend als Fitness- und Wellnesszentrum wiedereröffnet. Der Leipziger Investor war immer wieder in Kritik geraten, weil ihm beim Kauf vorgegeben wurde, bis Ende 2007 die ehemaligen Bademöglichkeiten im SEZ wiederherzustellen. Einige Parteien, wie die CDU, die FDP und Bündnis 90/Die Grünen sehen diese Pflicht nicht erfüllt, da es nur ein Gymnastik- und ein Planschbecken gibt und im einst bestehenden Wellenbad nun Badminton gespielt wird. Laut Löhnitz habe es aber nie die Verpflichtung zur kompletten Reaktivierung des Badebetriebs gegeben, diese hätte auch nicht wirtschaftlich sein können.

„Ich habe die Hoffnung, dass das Gebäude endlich Frieden findet, jetzt wo es auch seinen Zweck als Kulturausstellungsort erfüllt. Das war nämlich auch früher schon ein wesentlicher Gesichtspunkt dieser Einrichtung“, sagt Löhnitz. Arrivierte Kunst als Ausstellungsgegenstand kam für den Leipziger aber nicht infrage: „Es gibt schon so viele Galerien, die sich mit klassischer Kunst beschäftigen. Es gibt aber viele Künstler, die sich ganz anders mit Kunst auseinandersetzen. Die sind so frei, dass sie tun können, was sie gerade tun wollen.“ Diesen Künstlern eine Fläche zu geben und nicht das zu machen, was schon so oft existiere, sei sein Wunsch gewesen. „Das SEZ mit seiner großen Fläche ist dafür ideal.“

Angefangen habe alles mit der Außenwand, sagt er. „Ich wollte sie gerne bemalen lassen. Deshalb war ich auf einem Graffiti-Treffen in Berlin und habe dort den Künstler Alaniz kennengelernt.“ Der hatte gemeinsam mit seiner Frau Alesa Mustar schon lange den Wunsch, eine Ausstellung für internationale Künstler auf die Beine zu stellen. „Uns fehlte nur der Raum“, sagt Alaniz, den habe Löhnitz ihm gegeben. Die Bedingung war, dass die Werke der Künstler konstruktiv, kritisch und kreativ sein sollten. Das Ehepaar startete eine Ausschreibung im Internet, worauf sich über 200 Urban-Art- Künstler beworben haben. „130 davon haben wir ausgewählt. Einige kommen aus den USA, aus China, Indien, der Türkei, aber auch aus Berlin“, sagt Mustar.

Die Künstler schickten ihre Werke per Post nach Deutschland oder gestalteten sie sogar selbst vor Ort. Ein riesiges Paket sei sogar aus Hongkong gekommen, erzählt Mustar. „Die Künstlerin kritisiert in ihrem Werk, dass die Familien und Freunde bei Hochzeiten so viel Geld schenken müssen und hat dafür hunderte Banknoten in einem Glaskasten arrangiert.“ Die Banknoten sind alle mit dem Titel der Ausstellung „Silence is a lie“ bedruckt. Die Idee dafür kam der in Slowenien geborenen Designerin Mustar, als sie ein Zitat des russischen Dichters Jewgeni Jewtuschenko las: „When the truth is replaced by silence then silence is a lie (Wenn die Wahrheit mit Stille ersetzt wird, dann ist die Stille eine Lüge)“. „Das ist auch unser Motto“, sagt Mustar. „Wir wollen niemandem vorschreiben, dass er etwas Soziales oder Politisches kritisieren soll. Aber sie sollen sagen, was sie stört. Egal was.“

Aber was ist denn nun eigentlich Urban Art? „Eine einheitliche Definition gibt es sicher nicht. Aber Urban Art hat etwas mit Räumlichkeit zu tun. Kunst, die Straße, die Stadt – alles gehört zusammen“, sagt Alaniz. „Wir glauben, dass Urban Art nicht nur eine Bewegung auf der Straße ist, sondern eine für die Zukunft. Jeder hat eine Stimme und jeder kann sich ausdrücken, es gibt niemanden, der dich begrenzt.“ Daran glaubt auch Rainer Löhnitz. Deshalb möchte er Berliner Künstlern auch weiterhin Ausstellungsflächen anbieten. „Einige Außenwände sind noch frei. Wir können also allen kreativen Berlinern anbieten, ihre Bilder hier zu zeigen.“ Dafür müssen die Arbeiten in digitaler Form vorliegen, damit man sie zum Selbstkostenpreis auf eine spezielle Folie drucken kann, die dann an der Außenfront angebracht werden kann. Ab sofort können sich alle Berliner mit ihren Ideen und Konzepten beim SEZ bewerben. „Entweder sie schicken uns eine E-Mail mit ihren Ideen oder sie kommen direkt mit ihren digitalen Daten in die Ausstellung“, sagt Löhnitz. Voraussichtlich im nächsten Jahr will Löhnitz außerdem das Obergeschoss renovieren, damit dort ein Raum für Musik, Theater und Kleinkunst entsteht. „Dann haben wir im SEZ Kunst, Sport und bald auch eine Gastronomie vereint. Das ist für mich dann auch eine sinnvolle und kreative Nutzung, die Zukunft hat.“

Ausstellung „Silence is a lie“ im SEZ, Landsberger Allee 77, Friedrichshain, Freitag bis Sonntag, 15–19 Uhr, Eintritt 3 Euro, www.silenceisalie.com; Kontakt für interessierte Berliner Künstler: urbanart@sez-berlin.de

Zur Startseite