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Berlin: Das Turbo-Herz läuft rund

Vor zwei Monaten setzten Ärzte des Herzzentrums erstmals ein neues Kunstorgan ein – und retteten mit der Erfindung einem Berliner das Leben

Von Ingo Bach

Berliner Ärzte und Wissenschaftler sind einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem vollwertigen Kunstherzen vorangekommen. Chirurgen des Deutschen Herzzentrums in Wedding setzten einem Patienten jetzt erstmalig das Kunstherz „Incor I" ein. Die in Berlin entwickelte Kreislaufpumpe ist wesentlich kleiner und leichter als bisherige Modelle. Ein vergleichbares Gerät existiert derzeit nur noch in den USA. Der 41-jährige Patient aus Hohenschönhausen, der vor zwei Monaten operiert wurde, ist wohlauf. So wie auch ein zweiter Herzkranker aus Salzgitter, der wenige Tage später operiert wurde. Gestern stellte das Herzzentrum die beiden erstmals der Öffentlichkeit vor.

Diese Tage wird Holger Beckmann nie mehr vergessen: Anfang Juni geht er wegen einer Grippe und der damit verbundenen Atemnot zum Arzt - die Diagnose: ein schwerer Herzfehler. Am 6. Juni weist ihn ein Notarzt ins Krankenhaus ein, schon am 11. Juni liegt er wegen Herzversagens auf der Intensivstation des Virchow-Klinikums. Fünf Tage später setzen ihm die Ärzte des Deutschen Herzzentrums das künstliche Herz „Incor I" ein. Damit ist der Kraftfahrer aus Hohenschönhausen der weltweit erste Patient, dem die in Berlin entwickelte Kreislaufpumpe eingesetzt wurde.

Den Medizinern blieb keine Alternative zu dem dramatischen Schritt. „Der Patient hätte sonst nicht überlebt", sagt Roland Hetzer, Ärztlicher Direktor des Herzzentrums. Ein Spenderherz stand nicht zur Verfügung, also griff man zum neuesten High-Tech-Gerät der Steglitzer Firma „Berlin Heart", die seit einigen Jahren in Kooperation mit dem Herzzentrum künstliche Herzen entwickelt.

Holger Beckmann hat seit dem Eingriff keinen Puls mehr. Das laute Klack-Klack, an denen man bei älteren Modellen schon von weitem hören konnte, dass in der Brust des Patienten ein künstliches Herz schlug, fehlt. Nur mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung lässt sich das feine Sirren der Pumpe feststellen. Mit dem Prinzip des „kontinuierlichen Blutstroms" (siehe Kasten) nutzen die Mediziner ein Prinzip, das die Natur nicht kennt. „Jede Molluske hat einen pulsierenden Kreislauf", sagt Herzchirurg Hetzer. Deshalb galt es vor dem „Ernstfall" eine wichtige Frage zu klären: Wie reagiert der menschliche Organismus auf einen gleichbleibenden Blustrom. Zunächst wurde das neue Gerät ein Jahr lang an Kälbern getestet, bevor es im Menschen zum Einsatz kam. Das Ergebnis: Keine Komplikationen.

In zwei bis drei Wochen will der Chefarzt seine beiden Vorzeigepatienten das erste Mal auf Stippvisite nach Hause schicken - und wenn alles gut geht, sie bald ganz entlassen. Aber nur solange, bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Dann wird „Incor" sofort ausgetauscht. Bisher wurden künstliche Herzen vor allem zu dem Zweck entwickelt, die Zeit zu überbrücken, bis ein Spenderorgan zur Verfügung steht. „Die Wartezeit für ein Transplantat beträgt zwischen zehn und zwölf Monate", sagt Hetzer. Doch inzwischen geht der Ehrgeiz der Entwickler und Mediziner weiter. Demnächst soll ein Kunstherz zur Verfügung stehen, dass für immer in der Brust des Patienten „schlägt", bei dem auch die sperrige Steuerkonsole und die Energieversorgung mit integriert sind. Bei „Incor I" muss der Patient beides noch in einer Umhängetasche mit sich herumtragen. Immerhin drei Kilogramm wiegt das Ganze.

Noch ist „Incor I" nicht zugelassen. Erst wenn es bei 30 Patienten seine Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hat, kann es in Serie gehen. Die Entwickler rechnen dann mit einem Stückpreis von rund 50 000 Euro. Jetzt arbeiten die Forscher von „Berlin Heart" an einer Nachrüstung für „Incor I“. Es soll richtig schlagen. „Das fänden Patienten und Mediziner sympathischer, die lieber einen Puls spüren möchten."

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