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Das war 2011 in Berlin: Zurückblicken, bitte!

Von Papstbesuch über Abgeordnetenhauswahl bis S-Bahn-Chaos: Das hat die Stadt im zu Ende gehenden Jahr bewegt – oder auch nicht.

JANUAR

Das Jahr beginnt mit Feuerwerk um Mitternacht, fünf Minuten später wird Martha geboren, 3440 Gramm schwer, in der Caritas-Klinik „Maria Heimsuchung“. Die Heimsuchung der S-Bahn-Fahrgäste, verschärft durch den extremen Winter, setzt sich fort: Gleich Neujahr wird der Stadtrand mangels Zügen vom Netz abgehängt. Am Dreikönigstag steigen die Temperaturen, es regnet, und Blitzeis legt die Stadt weitgehend lahm. Das hindert die CDU aber nicht daran, Frank Henkel zum Spitzenkandidaten zu nominieren, während gleichzeitig Klaus Wowereit in den Umfragen weit vor Renate Künast liegt – Fukushima ist noch nur ein kleiner Ort in Japan. Nach dem Räumungsbescheid für das besetzte Haus in der Liebigstraße 14 in Friedrichshain werfen militante Linke einen Brandsatz ins Rathaus, der Schaden ist gering. Am 29. Januar ist dann schon 1. Mai: Nach einer Demonstration gegen die Räumung bricht ein Straßenkampf mit Pyrotechnik aus. Ach, und die Flugrouten, ja.

FEBRUAR

Die Räumung der Liebig 14 findet am 2. Februar statt, und die Polizei hält die unausweichlichen Krawalle in Grenzen. Nach ein paar weiteren Scharmützeln hat sich die Sache erledigt. Weniger kurzlebig ist die Aufregung nach diversen Schulreformen. Die Oberschulen müssen einen anderthalbfachen Jahrgang aufnehmen – Eltern befürchten, dass ihre Kinder nicht mehr auf die Schule ihrer Wahl wechseln können. Erfolgreich ist dagegen das Berliner Volksbegehren, das die Offenlegung der Wasserverträge fordert und damit das Thema „Transparenz“ nach vorn spielt – der Geist der später erfolgreichen Piraten betritt die Bühne. Und dann hält die Stadt wieder einmal erschreckt inne, als vier Jugendliche auf dem U-Bahnhof Lichtenberg einen 30-Jährigen ins Koma prügeln und einen weiteren verletzen. Die Attacke war versuchter Mord, urteilt ein Gericht Ende des Jahres und schickt die Schläger zwischen vier und sechs Jahre ins Gefängnis.

MÄRZ

In Prenzlauer Berg grummelt die Szene über den Umbau der Kastanienallee, in Kreuzberg über die vielen Touristen. Langsam marschieren die Wahlkampfthemen auf, die Flugrouten, die Schulsituation, vor allem die Mieten rücken ins Blickfeld. Am 5. März zaubert Innensenator Körting einen neuen Kandidaten für das Amt des Polizeipräsidenten aus dem Ärmel, den ehemaligen Grenzschützer Udo Hansen. Wird er das Amt am 1. Juni antreten? Im Tierpark feiern etwa hundert ehemalige Offiziere den 55. Jahrestag der Volksarmee-Gründung, fein gemacht in Knobelbechern und Uniform; auf den Stechschritt wird aus Altersgründen verzichtet. Am 11. März bebt die Erde in Japan, und die Schockwellen rollen im Verlauf der nächsten Tage und Wochen langsam in den Berliner Wahlkampf. In Neukölln sterben drei Menschen, weil jemand einen Kinderwagen im Hausflur angezündet hat; im Kiez geht die Angst vor weiteren Bränden um, es brennt immer wieder. Im Zoo stirbt am 19. März dessen prominentester Bewohner, Knut, im Alter von vier Jahren.

APRIL

Die Pathologen verkünden, dass Knut von einer Hirninfektion hinweggerafft worden sei. Renate Künast wird Spitzenkandidatin, Frank Henkel bereitet sich auf einer Nachtstreife mit dem Ordnungsamt nichts ahnend auf das Amt des Innensenators vor. In Sachen Schönefeld wechseln sich Sitzungen der Fluglärmkommission und Demonstrationen ab. Am 14. und 15. April lähmen die Sicherheitsmaßnahmen zum Nato-Gipfel die komplette Innenstadt. Auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße wird ein 29-Jähriger von zwei Männern zusammengetreten und schwer verletzt. Als Haupttäter wird Torben P. (18) aus Heiligensee ermittelt. Dass er von der Haft verschont wird, erregt sogar den Innensenator.

MAI

Seinen zehnten und letzten 1. Mai im Amt verbringt Körting dagegen relativ entspannt, denn es bleibt weitgehend ruhig. Dauerhaften Ärger macht ihm allerdings die Nachfolge des Polizeipräsidenten. Die CDU beschließt exakt 100 Lösungen für Berlin und lässt sie auch an den Kiosken verkaufen, aber das Druckwerk erweist sich als Ladenhüter. Am 13. Mai brennt das Haus Cumberland am Kurfürstendamm, der Dachstuhl wird schwer beschädigt. Noch schlimmer kommt es am 23. Mai: Am frühen Morgen zerstört ein Brandanschlag eine provisorische Kabelbrücke am Ostkreuz, große Teile des Bahnbetriebs brechen zusammen, Handynetze stellen ihren Dienst ein. Berliner Ärzte suchen nach enterohämorrhagischen Coli-Bakterien, auch EHEC genannt, 35 Fälle kommen zusammen.

JUNI

Langsam kocht die Erregung über die ewig brennenden Autos hoch. 57 waren es von Januar bis Mai – aber dann geht es erst richtig los. Ähnlich ist die Lage beim Wetter, nur umgekehrt: Nach einer warmen Periode im Frühjahr ärgern sich viele über die Anfang Juni noch geschlossenen Freibäder. Wenn sie wüssten, was noch kommen wird: jedenfalls kein Sommer. Weitere Dauerthemen:  die Treberhilfe, die Flugrouten, Hundekot, die ständig wegen irgendetwas gesperrten Straßen. Ab und zu wird ein Autozündler festgenommen und wieder freigelassen, aber die Serie reißt nicht ab. „Easy Abi“ heißt die Firma, die Geld für die Veranstaltung von Abiturbällen einsackt, dann aber nichts veranstaltet – Schaden: etwa 300 000 Euro. Am 26. Juni beginnt die Frauenfußball-WM, und am 28.Juni beschließt der Senat die Ernennung von Udo Hansen zum Polizeipräsidenten. Doch seine Ernennung wird vom Konkurrenten Klaus Keese juristisch blockiert.

JULI

Am 2. Juli schafft es das Thermometer mit Hängen und Würgen auf 14 Grad, so kalt war es noch nie an diesem Tag in Berlin. Und noch nie ist das Sommerkonzert der Philharmoniker in der Waldbühne ausgefallen – diesmal schon. In Neukölln schickt SPD-Bürgermeister Buschkowsky über 60 Jugendhilfeprojekten die Kündigung, weil die grüne Jugendstadträtin Vonnekold angeblich zu viel Geld für anderen Kram ausgegeben hat. Dann finden sich noch irgendwo 600 000 Euro, und die Sache ist erledigt. Am 25. Juli löscht eine defekte Gastherme in der Köpenicker Puchanstraße eine sechsköpfige Familie aus. Drei Tage später brennen in der ganzen Stadt 26 Autos.

AUGUST

Klaus Wowereit eröffnet den Wahlkampf mit dem Streicheln eines chinesischen Faltenschweins. Wie sich später herausstellt, bringt ihm dieser Trick Glück. In Wedding schießt der 25-jährige Mustafa Y. auf ein Auto, in dem die Familie seiner Exfrau sitzt: zwei Tote, ein lebensgefährlich Verletzter. Auch Autos brennen weiter, „Brandanschläge im Minutentakt“ lautet die Schlagzeile im Tagesspiegel vom 17. August. 508 Autos wurden bis zum Spätsommer beschädigt. Wenig später wird ein Zeitungsbote festgenommen, der die Anschläge in Hausfluren begangen haben soll. Auch Henkel herzt das chinesische Schwein, auch ihm bringt es Glück. „Gesichter der Renaissance“ heißt die Ausstellung im Bode-Museum, zu der am ersten Tag gleich Tausende Besucher kommen – die Warteschlange wird zum temporären Wahrzeichen der Stadt. Menschenmassen auch beim Protest gegen die geplanten Flugrouten: 26 000 umringten am 28. August den Müggelsee, den Anwohner vom Lärm bedroht sehen. Am 30. August wird Loriot auf dem Waldfriedhof Heerstraße beigesetzt.

SEPTEMBER

Eine gewisse Piratenpartei überholt die FDP in den Umfragen zur Abgeordnetenhauswahl. Der junge Italiener Giuseppe Marcone stirbt, als er auf am Kaiserdamm auf der Flucht vor U-Bahn-Schlägern vor ein Auto läuft. Volker Ratzmann von den Grünen sagt einen Satz, den er später noch bedauern wird: „Rot-Grün gibt es nur ohne die A 100“. Sigmar Gabriel und Klaus Wowereit kommen zum Wahlkampfabschluss mit dem „Dallas“-Altstar Larry Hagman, der sich naturgemäß nicht zu den Details der Berliner Wahl äußert. Dann wird endlich gewählt, das Ergebnis ist bekannt, aber auch erst einmal egal, denn ein Größerer als Henkel, Künast und Wowereit nähert sich der Stadt: Joseph Ratzinger, auch als Papst Benedikt XVI. bekannt. Die Messe im Olympiastadion wird von katholischen Christen begeistert gefeiert, andere ärgern sich über die blockierte Stadt. Kaum ist der Papst weg, liefern sich die Heiratskandidaten von SPD und Grünen einen skurrilen Streit über die A 100, dessen späteres Ergebnis die rot-schwarze Koalition ist.

OKTOBER

Langsam zerlegt sich die rot-grüne Möchtegern-Koalition. Die beiden Bewerber für das Amt des Polizeipräsidenten treten mal wieder vor die Auswahlkommission. Linksextremisten legen Brandsätze am Hauptbahnhof, die nicht zünden, und einen in Falkensee, der ein Kabel zerstört. Man wolle die Hauptstadt wegen des Afghanistan-Kriegs „in den Pausenmodus zwingen“ , heißt es in einem Bekennerschreiben. In den folgenden Tagen werden weitere Blindgänger entdeckt. Es wird bekannt, dass zwei Mitarbeiter der Köpenicker Parkeisenbahn von 2000 bis 2010 mehrere Jungen sexuell missbraucht haben sollen.

NOVEMBER

Die Grünen sind inzwischen derart verzankt, dass zwei erfahrene grüne Politiker, Wolfgang Wieland und Michaele Hustedt, als Mediatoren verpflichtet werden. Brandanschläge werden zur Routine, einer trifft ein Haus der Familie Pepper am Ernst-Reuter-Platz, die seit Wochen von einem Attentäter verfolgt wird, ein anderer ein Haus der „Falken“ in Britz. Das Bezirksamt Mitte verhängt ein Grillverbot im Tiergarten, das zwar mangels passendem Wetter nicht sofort durchschlägt, aber dennoch heftige Debatten provoziert. Am 28. November wird der neue Senat vorgestellt, auch Justizsenator Michael Braun (CDU) hat noch gute Laune.

DEZEMBER

3. Dezember, 9.53 Uhr: 40 Kilo Semtex und ein paar zusätzliche Sprengladungen beenden die Geschichte der Deutschlandhalle. Auch der neue Senat wird erschüttert, und zwar von der Schrottimmobilien-Affäre, in die Justizsenator Braun verwickelt ist. Das Verwaltungsgericht stoppt wieder einmal die Ernennung Udo Hansens zum Polizeipräsidenten. Auf Weihnachtsmärkten verteilt ein Unbekannter Schnäpschen mit K.-o.-Tropfen. Am 12. Dezember folgt der K. o. für Michael Braun, der aber nicht von seinem Amt zurücktritt, sondern feinsinnig um Entlassung bittet. Da Wowereit dieser Bitte entspricht, sind nun 50 000 Euro Weihnachts-, Verzeihung, Übergangsgeld fällig. Zu Recht? Das ist noch offen. Schließlich geht die S-Bahn K. o., als am 16. Dezember ein Stromausfall das komplette Netz für Stunden lahmlegt. Was wird das neue Jahr bringen? Einen neuen Justizsenator ganz sicher. Und einen neuen Polizeipräsidenten, vielleicht.

Weitere Berliner Ereignisse finden Sie im großen Rückblick auf das Jahr 2011, der in unserer Silvester-Ausgabe erscheint.

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