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Berlin: „Das wird ein Kultfilm“

Die erste Kinovorstellung sahen gestern viele Frauen und wenig Fußballfans. Gerührt waren alle

Von Sandra Dassler

Die Zuschauer halten den Atem an. Hoffen mit den Jungs auf dem Rasen, zählen die Sekunden und manche weinen vor Erleichterung, als endlich der Schlusspfiff ertönt. An sich ist das bei Fußballspielen nicht ungewöhnlich. Nur in diesem Fall wissen die Zuschauer seit fast 50 Jahren, wie das Spiel ausging. Sie sitzen auch nicht im Stadion, sondern im Cinemaxx-Kino am Potsdamer Platz, wo sich das Wunder von Bern seit gestern im Zwei-Stunden-Takt wiederholt.

Der Erste, der sich eine Karte für den Film kaufte, war ein Schweizer. Beni Bruggmann aus St. Gallen wollte den Film unbedingt noch kurz vor Ende seines Berlin-Urlaubs sehen. „Ich war damals zuerst überhaupt nicht für Deutschland“, erzählt der 63-Jährige. „Die Ungarn haben einfach besser gespielt. Aber wer den Fußball liebt, musste irgendwann auf die Seite Deutschlands umschwenken. Unglaublich, wie die Jungs bis zum Schluss kämpften.“

Der Schweizer war die Ausnahme unter den etwa 80 Zuschauern, die gleich zur ersten Vorstellung ins Cinemaxx kamen. Die meisten interessierten sich weniger für Fußball als für die Geschichte drumherum: „Da wird das Schicksal meiner Generation erzählt“, sagt die 61-jährige Ingeborg Hagedorn aus Berlin: „Mein Vater ist im Krieg geblieben, meine Mutter schon 1952 gestorben, ich wuchs in einer Pflegefamilie auf.“ Ingeborg Hagedorn kommt aus dem Ostteil der Stadt, wie viele Kinobesucher. Sie hat den Regisseur vorher im Fernsehen gesehen. „Der hat versprochen, es sei ein Frauenfilm.“

Vielleicht sind deshalb so viele Frauen im Kino. Manche geben offen zu, dass sie geweint haben. Christa Kaltofen zum Beispiel: „Mich hat diese Geschichte sehr gerührt“, sagt die 70–Jährige, die 1954 in Leipzig studierte und das Fußballspiel damals überhaupt nicht mitbekam: „Das Schicksal der Kriegsheimkehrer ist sehr menschlich dargestellt.“ Auch Christine und Johannes Mitrenga aus Hennigsdorf fanden im Film „viel von der eigenen Kindheit“ wieder. Über die Probleme der Spätheimkehrer sei in der Bundesrepublik zwar wenig, in der DDR aber gar nicht berichtet worden.

Viele haben ihre Kinder und Enkelkinder mit ins Kino gebracht. Auch Martin Dettloff kam mit seiner 17-jährigen Tochter. Der Berliner Fotograf wollte die Bilder abgleichen, die er seit Jahren im Kopf hat: „Wie die den Herberger hochleben lassen zum Beispiel. Ich bin nicht enttäuscht worden.“

Auch Joachim Bergmann, der den Regisseur noch im Ruhrgebiet hat spielen sehen, ist begeistert: „Die Zeche, der Dialekt – alles ist originalgetreu wiedergegeben.“ Der 46-Jährige ist sich beim Verlassen des Cinemaxx sicher: „Das wird ein Kultfilm.“ Und wundert sich wie alle anderen, die mit ihm im Kino saßen, dass draußen das Leben ganz normal weitergeht. Als ob wir nicht gerade Weltmeister geworden wären.

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