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Berlin: Das Wunderkind von Wilmersdorf: "Nervös bin ich eigentlich nie"

Schon während man die Treppen des Wilmersdorfer Mietshauses hinaufsteigt, dringt Mark Ehrenfrieds Klavierspiel aus der Zweizimmerwohnung in den Hausflur. Er spielt eine "Bagatelle" von Beethoven.

Schon während man die Treppen des Wilmersdorfer Mietshauses hinaufsteigt, dringt Mark Ehrenfrieds Klavierspiel aus der Zweizimmerwohnung in den Hausflur. Er spielt eine "Bagatelle" von Beethoven. Mit seinen bunten Strümpfen bedient er das Pedal, seine kleinen Finger eilen über die Tasten. Dabei wippt sein blondes volles Haar auf und ab, und er verzieht sein Gesicht, als hätte Schmerzen. Hat er aber nicht. "Ich lege meine ganze Energie auf den Ausdruck, bin voll konzentriert", sagt Mark. Gerade mal neun Jahre ist der Junge mit den großen, blauen Kulleraugen alt. In den Zeitungsartikeln, die in seinem Zimmer hinter Glas hängen, wird er als "Wunderkind" gerühmt. Mark Ehrenfried hat alles mögliche über seine Lieblingskomponisten Bach, Mozart und Beethoven gelesen und spielt deren Meisterwerke mühelos auf dem Klavier. Erst im Dezember ist er in der Kölner Philharmonie vor 2500 Menschen aufgetreten. Davor beglückte er die Teilnehmer einer Tagung des "Arbeitskreises christlicher Publizisten" bei Kassel, und im Sommer gab er schon zum zweiten Mal sein Können im Berliner Meistersaal zum Besten.

Trotzdem mag ihn seine Mutter Petra Ehrenfried nicht als Wunderkind sehen. "Er hat eben all seine Energie in eine Sache gesteckt und ist deshalb erfolgreich", sagt die 38-Jährige. "Ich kenne den Mark ja nicht anders. Für mich ist das normal." Diesen Satz wird die allein erziehende Mutter noch öfter sagen. Normal ist für Petra Ehrenfried auch, dass ihr Sohn sich weder für Pokémon oder Fernsehserien ("Wir haben gar keinen Fernsehanschluss") noch für Popstars oder Fußball interessiert. Stattdessen wünscht er sich zu Weihnachten Peddigrohr, das er zum Körbeflechten braucht, - und Fußspray. "Mark ist eher so ein Hauttyp", schmunzelt sie, "er liebt diese Frische auf seiner Haut". Auch für spezielles Haarshampoo sowie Anti-Stress-Badesalz hat er ein Faible. Wenn Mutter und Sohn ausgehen, legt Mark gern ein Parfüm auf und zieht sich chic an. "Ich würde am liebsten auch in meinem Frack oder dem dunklen Anzug zur Schule gehen", sagt Mark.

Seine Mutter schaut bei diesm Gedanken etwas bedrückt drein. "Als Mark noch auf die Wilmerdorfer Paul-Eipper-Grundschule ging, wurde er furchtbar gehänselt deswegen. Wenn er sich adrett angezogen hat, haben die anderen ihn in den Dreck gestoßen, ihn beschimpft und gehauen." Einmal habe ihm ein Mitschüler sogar eine große Glasmurmel ins Gesicht geworfen, so dass Marks Augenbraue aufgeplatzt ist. "Ich ziehe in den Krieg, und Du hast Angst um mich", habe Mark damals zu ihr gesagt. Jetzt besucht er die 4. Klasse der Hans-Fechner-Grundschule und alles ist besser geworden. Dort wählten ihn die Mitschüler sogar zum Co-Klassensprecher. Mit anderen Kindern spielt Mark dennoch nicht, "das hat er auch noch nie so richtig gemacht", erzählt seine Mutter.

Schon als Kleinkind war Mark sehr introvertiert. Wenn seine Mutter mit ihm im Park Fußball spielen wollte, ist er stur auf der Wolldecke sitzen geblieben. Er hat lieber zugeschaut, wenn die Mutter mit anderen Kindern, die unbedingt den Ball haben wollten, gespielt hat.

In der musikalischen Früherziehung ist der Mutter das erste Mal aufgefallen, dass ihr Sohn begabt und sehr aufgeweckt ist. Während die anderen Kinder stockend Worte wie "Apfelbaum" im Takt klatschten, meisterte der dreijährige Mark das reibungslos und ließ sich Fantasienamen wie "Seltersbaum" einfallen. Im Musikcafé Charlottchen klimperte der Kleine das erste Mal auf einem "Tastenkasten", wie er das Klavier nannte. Beruhigen ließ er sich am besten mit Mozart-Musik, und immer, wenn er Klaviertöne hörte, quängelte er, um selbst Unterricht zu erhalten. Als er fast fünf Jahre alt war, gab sie nach und schickte ihn einmal pro Woche zu einer Klavierlehrerin. Sie erkannte Marks Talent und überzeugte seine Mutter, unbedingt ein eigenes Klavier zu kaufen. "Ein polnisches Legnica-Klavier für 1800 Mark", sagt Petra Ehrenfried. Dank der Großeltern konnte sie das Instrument und die Stunden überhaupt erst finanzieren. "Die Gouvernante", wie Marks Mutter sie nennt, hatte allerdings sonderbare Lehrmethoden. Machte Mark Fehler, soll sie ihn mit den Worten "Mein liebes, böses Baby" im Arm gewiegt haben.

Das war zuviel des Guten. Marks Mutter schaute sich nach einer neuen Lehrerin um. Sie traf auf die russische Musikprofessorin Natalia Gussewa, die Mark "wegen seiner schönen blauen Augen" unterrichten wollte. Die Gussewa sei eine strenge Lehrerin gewesen, glaubte aber an Marks Fähigkeiten und organisierte für ihn im Juli 1999 sein erstes Konzert im Meistersaal. Vor etwa 120 Zuhörern spielte der Junge eine Stunde lang fehlerfrei durch. "Nervös bin ich eigentlich nie. Nur mein Herz schlägt etwas schneller, aber ich habe keine Angst aufzutreten", berichtet Mark. Irgendwann meldete sich eine Redakteurin der ARD-Talkshow "Fliege". Sie fragte an, ob Mark nicht Lust hätte, zum Thema "Wunderkinder" in die Sendung zu kommen. Nachdem Petra Ehrenfried hin und her überlegt hatte, flogen beide schließlich doch nach München zur Talkshow. Seine Mutter sah in dem Fernsehauftritt auch die Chance, einen Sponsoren für Mark zu gewinnen, denn "die Klavierstunden sind auf die Dauer doch sehr teuer." Von Moderator Jürgen Fliege bekam Mark zunächst einmal einen eigenen Frack geschenkt, einige Zeit später fand sich auch eine Dame, "die ungenannt bleiben möchte" und fortan Mark sponsert. Mittlerweile spielt das kleine Tastengenie auch nicht mehr auf dem polnischen, sondern einem Yamaha-Klavier. Und da es vor einiger Zeit Unstimmigkeiten mit der Gussewa gab, lässt Mark sich jetzt vom Ballett-Dirirgenten der Deutschen Oper, Michael Heise, zweimal in der Woche unterrichten.

Am Ende des Gesprächs lümmelt sich Mark auf seinem Sofa und gähnt ungeniert. Üben wird er an diesem Abend nicht mehr, "vielleicht noch ein wenig Körbeflechten oder in der Bibel lesen", sagt Mark.

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